Flexible Arbeitsformen und die Folgen für Führungskräfte

Flexible Arbeitsformen und die Folgen für Führungskräfte

22.000 MitarbeiterInnen können künftig frei entscheiden, von wo aus sie ihre Arbeit verrichten – vom Café, vom Schwimmbad, von zu Hause oder von sonst wo in der Welt. Formlos, per Mail, SMS oder per Kalendereintrag wird das mit der Führungskraft abgestimmt.[1]

SAP setzt auf diese neuen flexiblen Arbeitsformen. IT-technisch ist das machbar. Doch die Umsetzung in flexiblen Arbeitsformen hinkt der technischen Reifung hinterher. Nicht selten gelten Führungskräfte als Lähmschicht in der Realisierung dieser neuen Arbeitsweisen.[2] Flexibles Arbeiten stellt das mittlere Management vor enorme Herausforderungen, die im ersten Blick nicht so eindeutig zu erkennen sind.

Ich spreche jetzt nicht vom fehlenden IT-Wissen, oder von der [unterschwelligen] Angst, dass durch flexible Arbeitsformen die Führungskräfte überflüssig werden könnten, sondern davon, dass durch die flexiblen Arbeitsformen sich der Arbeitsaufwand in den mittleren Führungsebenen enorm erhöht.

Die Bertelsmann Stiftung hat sich mit der Flexibilisierung von Arbeit tiefgründig auseinandergesetzt. Die Effizienz von Arbeits-, Produktions-, Kooperations- und Kommunikationsprozessen steht in vielen Debatten im Vordergrund. Damit einher geht ein tiefgreifender Wandel der Organisationsstrukturen und Führungskulturen.[3] Das erfordert neue Rahmenbedingungen und neue Kompetenzen. Darüber wird viel diskutiert und auch eine Unzahl an Strategien zur Bewältigung der anstehenden Veränderungen erarbeitet. Auf den ersten Blick klingt das vielversprechend und gut. Doch es gibt einen Hacken:

read more

Man versucht die Veränderungen, und die damit verbundenen neuen Rahmenbedingungen, mit klassischem Managementinstrumentarium, durch Aufstellen von Regeln, Regulierungen und Normen zu domestizieren. So wird jedoch der Wandel und die erfolgsversprechende Implementierung flexibler Arbeitsformen nicht funktionieren.

Die Führungskräfte im mittleren Management werden sich in den vielerorts aufgesetzten Changeprozessen aufreiben, und sich darin verlieren.[4]

  • Der Aufwand für Koordination und Planung für das Überprüfen von Vereinbarungen, für Moderation und Konfliktmanagement steigt in den neuen Arbeitsweisen deutlich.

  • Führungskräfte mit einer hohen Führungsspanne haben einen besonders hohen Aufwand in Bezug auf eine ausreichende Kommunikations- und Abstimmungs- bzw. Betreuungsintensität in virtuellen Strukturen.

  • Führungskräfte hängen oft auch noch in alten Präsenz- und Meeting-Kulturen, ebenso in alten Reporting´s, aber in gleicher Weise müssen diese auch in virtuellen Strukturen präsent sein – das führt zu einer enormen Doppelbelastung.

  • Die Anreiz- und Vergütungssysteme der Führungskräfte sind häufig noch nicht auf die neuen Aufgaben abgestimmt. Gleichzeitig aber werben viele ArbeitgeberInnen mit flexiblen Arbeitsformen, ohne einem entsprechend abgestimmten Anreiz- und Vergütungssystem.

So kommt es, dass die gehypte Arbeitsflexibilität bereits von einigen Unternehmen, beispielsweise von IBM und Yahoo, wieder rückgängig gemacht wurde. Rund 40 Prozent der weltweit 386.00 MitarbeiterInnen bei IBM arbeiteten zumindest zum Teil von zu Hause aus. So sparte sich der Konzern jedes Jahr 100 Millionen Dollar. Doch der Tech-Konzern zog die Reißleine, ebenso wie Yahoo. Beide Unternehmen hatten Maßstäbe in flexiblen Arbeitsformen gesetzt, aber sind gleichzeitig daran gescheitert.[5] Flexible Arbeitsformen benötigen eine neue Führungskultur, worauf jedoch viele Führungskräfte nicht ausreichend genug vorbereitet werden. Dazu zählt u.a. der professionelle Umgang mit eCollaborations-Tools, mehr Agilität, das Führung in flachen Hierarchien und mehr Transparenz, sprich das Offenlegen von Wissen und Entscheidungen – ein Aspekt, womit einige im Management ihre Schwierigkeiten haben.

Bei der digitalen Transformation der Arbeitsorganisation geht es aber auch nicht um die losgelöste Betrachtung einzelner „sozialer Technologien“ und was diese leisten können, oder um eine wie auch immer geartete Führungskultur. Sondern es geht darum, wie sich die Organisation des Unternehmens als Ganzes verändern muss. Dabei steht die „digitale Befähigung“ (Digital Enablement) der MitarbeiterInnen, die Zusammenarbeit der Teams, der Organisation des Unternehmens wie auch der Strukturierung der Prozesse im Mittelpunkt. Das sind u.a. die zentralen Aufgaben und Verantwortungen der Führungskräfte im digitalen Wandel – das Managen von flexiblen Arbeitsformen:[6]

  • Die digitale Befähigung der MitarbeiterInnen

Diese Befähigung setzt in der Regel nicht von „selbst“ ein. Die MitarbeiterInnen müssen dazu respektvoll und einsichtig hingeführt werden. Dabei gilt, dass jeder/jede MitarbeiterIn, als auch jede Führungskraft individuell ist und jeder für sich seinen/ihren eigenen Sinn und individuellen Mehrwert finden muss. 

  • Die digitale Befähigung der Teams

Die klassische Projektorganisation lässt sich nicht auf virtuelle und digital-soziale Strukturen übertragen. Für das Team-Management auf kollaborativen Plattformen braucht es eine neue Art der Führung und Moderation. Gleichzeitig müssen die Führungskräfte dafür Sorge tragen, dass der direkte persönliche Austausch der Projektteams auch nicht zu kurz kommt, damit die Identifikation und Selbstverpflichtung für das Projektziel nicht leidet. Auf der anderen Seite bietet die digital-soziale Kollaboration neue Möglichkeiten und erlaubt einen „Working-Out-Loud“ Ansatz nach John Stepper, eine höhere Projekttransparenz. 

  • Die digitale Befähigung der Organisation

Es bedarf neben der digitalen Befähigung der MitarbeiterInnen und Teams einer Diskussion über die Ausgestaltung der Rahmenrichtlinien für die digitale Arbeitsorganisation, wie beispielsweise Absprachen über klare Arbeitszeit- und Mitbestimmungsmodelle, und ebenso die Entwicklung zeitgemäßer Zukunftspläne. Um das jeweilige Unternehmen auf den für sich passenden Weg zu bringen, braucht es eine klare Findungsphase, wo die neuen Strukturen und Organisationsformen definiert werden.

Aber in all diesen Befähigungsmaßnahmen sitzt oft auch schon der Hund. Man erkennt, was alles getan werden muss, versucht aber mit dem gewohnten, lang gedienten Managementinstrumentarium die Veränderungen zu initiieren – mit altem Instrumentarium agil, flexibel und wendig zu werden. Doch diese gewohnte Weise der Führung und Umsetzung von neuen Strategien im Unternehmen führt aktuell in eine Sackgasse, ohne es jedoch zu merken, weil die Sackgasse zu Beginn Erfolge verspricht und der Weg tatsächlich anfangs attraktiv erscheint. 

An dem Punkt muss man sich eigentlich die Frage stellen, ob die Führungskräfte selbst ausreichend genug dazu befähigt sind, ihre MitarbeiterInnen, die Teams, die Organisation gut vorbereitet durch den digitalen Wandel zu führen?  

Nach Experteneinschätzung wird bis zum Jahr 2020 Digitalisierung, beziehungsweise digitale Kompetenz für den wirtschaftlichen Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit unumgänglich sein. Über alle Studien hinweg wird in Bezug auf die Ergebnisse angeraten, etablierte Wege zu verlassen, neues Denken und Handeln zu implementieren.[7] Doch wie soll das gehen, wenn die Führungskräfte nicht entsprechend darauf vorbereitet werden, und die dafür notwendige Unterstützung zu oft fehlt? 

Viele Führungskräfte fühlen sich aktuell im Stich gelassen – so meine Erfahrung und Beobachtung. So gesehen, sollte an 1. Stelle die Befähigung der Führungskräfte stehen, den digitalen Wandel im Unternehmen mit neuem Instrumentarium adäquat führen zu können.  

Mag sein, dass einige Führungskräfte meinen, dass ihre eigene Weiterbildung nicht notwendig sei. Doch vermehrt habe ich wahrgenommen, dass viele im Management, insbesondere im mittleren Management, Unterstützung in der Umsetzung der neuen Arbeitsweisen wünschen. Das „Was“ ist nicht das Problem, es hängt oft viel mehr am „Wie“. Wie sollen die neuen flexiblen Arbeitsstrukturen umgesetzt werden? New Work ist keine Sozialromantik.[8] Veränderungen und die damit verbundenen neuen Kompetenzen, können nicht einfach durch 2-3 Tages-Workshops aus dem Ärmel geschüttelt werden.[9] 

Stephan Grabmeier kritisiert in diesem Zusammenhang, dass es an der ganzheitlichen Betrachtung fehle – im Unternehmen, im Management, bei MitarbeiterInnen, sprich auf allen Ebenen. Hier liegt wirklich ein riesengroßes Missverständnis vor. Deutschland steht, was die New Work Bewegung betrifft, deshalb erst am Anfang. Zu oft konzentriert man sich in den Unternehmen auf dogmatische, althergebrachte Methoden- oder Haltungspredigten – mit dem Glauben, das genügt.[10] Was Veränderungen in VUCA-Zeiten jedoch erst in Bewegung versetzt, dass ist weniger die Technik als vielmehr die richtige Haltung. Es braucht einen humanzentrierten Managementansatz, um die anstehenden Veränderungen wirkungsvoll umsetzen zu können.

Wer von den Führungskräften ist tatsächlich in den neuen Kompetenzen, in einem humanzentrierten Managementansatz entsprechend ausgebildet worden?

Meines Wissens und meiner Beobachtung nach nicht so viele. So muss es nicht verwundern, dass manche Führungskräfte unbewusst Veränderungen blockieren, oder sogar bewusst sich gegen das Neue stellen oder versuchen wie ein Bulle in gewohnter Weise das Neue anzuschieben.

Die meisten Führungskräfte haben langjährige, intensive Ausbildungen hinter sich. Sie haben viel in die Aus- und Weiterbildungen investiert. Sie waren/sind engagiert und fachlich sicher höchst kompetent. So gesehen ist die Aussage, es mangelt im Management an Kompetenz, fast schon ein Hohn – verständlicherweise.

Der Haken an dem Thema ist, dass die meisten Aus- und Weiterbildungen die neuen Kompetenzen des Managements nicht im Lehrplan stehen haben bzw. oft nur am Rand als freies Wahlfach aufscheinen. In den Fort- und Weiterbildungen im Unternehmen werden die neuen Skills für Führungskräfte auch noch nicht ausreichend genug angeboten und entsprechend trainiert.

So gesehen kann man dem Management in Bezug der fehlenden Kompetenzen wirklich keinen direkten Vorwurf machen, auch wenn Studien eindeutig belegen, dass die Unternehmen ihr Wissen und ihre Kompetenzen erweitern müssen. Das System als Ganzes hängt. Die Veränderungen der VUCA-Zeit sind so rasant, dass die damit verbundenen Veränderungsprozesse kaum Schritt halten können – sowohl auf der Ebene der Aus- und Weiterbildung, als auch in den Unternehmen und in den Führungsebenen.[11]

In diesem Zusammenhang möchte ich gleich einen weiteren Punkt anführen, der als neue Managementaufgabe bzw. Kompetenz kaum Erwähnung findet, aber gerade in der Implementierung neuer Arbeitsweisen außerordentlich wichtig ist:

  • Die Befähigung des Managements, Effektivität, Optimierung und Flexibilität nicht in Selbst- und Fremdausbeutung rutschen zu lassen

Es geht hier nicht darum, den Optimierungsgedanken zu verurteilen, sondern ein gesundes Maß von Optimierung zum Einsatz kommen zu lassen. Es geht darum, den Optimierungsgedanken mit der unbedingten Wertschätzung des Individuums zu verbinden. Dieses Individuum – man selbst wie auch der/die andere muss in seinen/ihren Eigenheiten, seinen/ihren besonderen Talenten, aber manchmal eben auch in seiner/ihrer Gebrechlichkeit und den Momenten fehlender Souveränität vorkommen dürfen – das ist nach Bernhard Pörksen so etwas wie das erste Gebot in Zeiten des Effektivitätswahns und den damit verbundenen neuen Arbeitsweisen. Pörksen spricht vom Dilemma, vom Spannungsfeld der Professionalität und Menschlichkeit.[12]

Ich kann dazu aus Beobachtung nur sagen: Ängste, insbesondere die unbewussten Ängste vernebeln den Blick und blockieren tiefgreifend anstehende Veränderungen in subtiler Weise. Über die Ängste der Mächtigen wird jedoch in Managementkreisen kaum bzw. nur sehr ungern gesprochen. Verdrängte Ängste führen zu unkontrolliertem Aktionismus, zu Aggression und Arroganz.[13] Nach Gabi Harding, Arbeits- und Organisationspsychologin, sehen sich Führungskräfte mit drei Hauptformen von Ängsten konfrontiert:

  • die Angst vor dem Unbekannten,

  • die Angst vor dem Versagen und

  • die Existenzangst

In einer Studie heißt es: 40 Prozent der Zeit verbringt man damit, aufzupassen, wer am eigenen Stuhl sägt. 30 Prozent sägt man an anderer Leute Stühle, und 30 Prozent arbeite man im Sinne der Sache. Harding findet es daher dringend notwendig, über die Tabus – Ängste im Management – zu sprechen. Sie beklagt sich, dass sie gegenwärtig keine Initiative kennt, die sich öffentlich der Ängste im Management annimmt. Die ManagerInnen müssen für sich selbst initiativ werden, sofern sie ihre Ängste überhaupt wahrzunehmen bereit sind. Das tun jedoch die wenigsten, weil bereits ein kurzer Blick in das Reich möglicher Ängste die Auseinandersetzung damit blockiert.[14]

So kommt es, dass beispielsweise unter dem Deckmantel „Komplexität meistern“ eigentlich die Bewältigung von Ängsten angegangen werden möchte.[15] Solange aus einer Angst gebundenen Haltung heraus im Management agiert wird, werden die neuen Arbeitsformen nicht das gewünschte Ergebnis bringen.

Ihr Günther Wagner

 

PS.: Vielen Dank für Ihr Interesse. Wenn Sie persönlich über zukünftige Beiträge informiert werden wollen, dann melden Sie sich einfach über diesen Link an.

 

Literatur- und Bildquellen:

[1] www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/softwarehersteller-sap-laesst-mitarbeiter-frei-ueber-arbeitsort-entscheiden/21025238.html. Am 2018-03-13 gelesen.
[2] PDF zum Download: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/imported/leseprobe/LP_978-3-86793-677-4_1.pdf.
[3] PDF zum Download: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/imported/leseprobe/LP_978-3-86793-677-4_1.pdf.
[4] PDF zum Download: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/imported/leseprobe/LP_978-3-86793-677-4_1.pdf.
[5] www.xing-news.com/reader/news/articles/662738?link_position=digest&newsletter_id=20893&toolbar=true&xng_share_origin=email. Am 2018-03-13 gelesen.
[6] https://www.amazon.de/Industrie-4-0-cyber-physische-Arbeitswelt-verändern/dp/3658155566/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1520942227&sr=8-1&keywords=industrie+4.0+wie+cyber-physische+systeme+die+arbeitswelt+ver%C3%A4ndern. Kapitel 12: Digital Leadership – Die Führungskraft im Zeitalter von Industrie 4.0. Günther Wagner.
[7] https://www.tns-infratest.com/wissensforum/studien/pdf/zukunftsstudie_muenchner_kreis_2014.pdf. Am 2018-02-13 gelesen.
[8] https://medium.com/the-new-worker/new-work-ist-keine-sozialromantik-502989dc3868?cn=bWVudGlvbg%3D%3D. Am 2017-05-30 gelesen.
[9] https://medium.com/the-new-worker/new-work-ist-keine-sozialromantik-502989dc3868?cn=bWVudGlvbg%3D%3D. Am 2017-05-30 gelesen.
[10] https://medium.com/the-new-worker/new-work-ist-keine-sozialromantik-502989dc3868?cn=bWVudGlvbg%3D%3D. Am 2017-05-30 gelesen.
[11] https://www.linkedin.com/pulse/klassische-führung-verliert-den-anschluss-günther-wagner/?trackingId=aSlCJdH2XLJucP553Gowkw%3D%3D.
[12] www.faz.net/aktuell/beruf-chance/beruf/wissenschaftler-poerksen-fuehrung-braucht-kein-befindlichkeitsgelaber-13251897.html. Am 2018-01-24 gelesen.
[13] http://www.psychologie-heute.de/archiv/detailansicht/news/die_angst_des_chefs/. Am 2017-08-07 gelesen.
[14] http://www.psychologie-heute.de/archiv/detailansicht/news/die_angst_des_chefs/. Am 2017-08-07 gelesen.
[15] https://blog-wagner-consulting.eu/machtspiele/.

reduce text