Resilienz
LICHT AM ENDE DES TUNNELS

LICHT AM ENDE DES TUNNELS

DOCH WAS HEISST DAS IN CORONAZEITEN?

Vor vielen Tagen, ja inzwischen Wochen, sind wir in einen Tunnel gefahren. Ich muss den Tunnel nicht beim Namen nennen – jede und jeder kennt diesen.

Der Tunnel kam in den Westlichen Ländern recht langsam, als kaum wirklich vorhandene Herausforderung auf uns zu – für viele sogar so, dass sie selbst meinten, sie müssten diesen Tunnel nicht durchfahren. Durch TV und Internet konnten wir einen Blick in den Tunnel werfen, blieben selbst davon aber noch verschont – wir saßen noch in Caféhäusern und feierten ausgelassen, fern jeder Vorstellung, dass wir, die EU, demnächst auch mit Höchstgeschwindigkeit in diesen Tunnel einbiegen würden.

Diese Tunnelfahrt ist für die meisten, genau genommen für alle, komplettes Neuland. Kein Land, keine Gesellschaft zuvor hat bisher eine solche Art von Tunnel durchfahren. Kein Land und keine Gesellschaft ist bisher auf der anderen Seite vom Tunnel, dem Corona-Krisen-Tunnel, rausgekommen – auch nicht die, welche jetzt zumindest verbal das „Licht am Ende des Tunnels“ ankündigen.

Dieser Tunnel ist nicht vergleichbar mit einem der vielen Tunnel auf der Berliner Stadtautobahn oder dem Münchner Ring. Diese Tunnelfahrt ist vielmehr zu vergleichen mit der Erstbefahrung des Gotthardtunnels in der Schweiz oder dem Laerdaltunnel in Norwegen.

Ein Kraftfahrer in Berlin oder Brandenburg hat in Bezug auf eine Tunnelfahrt darüber hinaus auch noch ein anderes Bild im Kopf, wenn er „Licht am Ende des Tunnels“ hört, als ein Bewohner der Alpen, welcher regelmäßig durch längere Tunnel fährt. So denkt der eine möglicherweise daran: bald kann ich Gas geben, die PS unter der Haube spüren, schon einmal runterschalten und die Drehzahl erhöhen. Der andere weiß, wenn ich den Tunnel verlasse, werde ich von der Sonne geblendet sein. So klappt dieser, knapp vor der Tunnelausfahrt, zum Schutz vor dem Licht die Sonnenblende herab, bleibt sicherheitshalber in seiner Spur und beschleunigt auch nicht. Erst wenn er sich an die Bedingungen außerhalb des Tunnels wieder gewöhnt, sich erneut angepasst hat, wird er beschleunigen.

 

Die entscheidende Frage bei dieser Tunnelfahrt, in dem Corona-Krisen-Tunnel, ist:

Was lerne ich während der Fahrt durch einen unbekannten Tunnel mit einer Ausfahrt in eine Welt, die vielleicht nicht mehr so ist, wie sie zuvor war?

Aktuell verbringen weltweit rd. 4 Milliarden Menschen 24 Stunden wie im Käfig – in ihren Wohnungen und Häusern.

Viele Arbeitsplätze, Restaurants, Theater, Geschäfte, … sind geschlossen.

Den Golfplatz dürfen wir nicht betreten, und allein mit dem Porsche über den Ku’damm fahren, macht auch nicht wirklich Spaß …

Wir können uns nicht mehr gegenseitig in Büros, auf Straßen, Lokalen, … beobachten, uns nicht mehr in öffentlichen Räumen zeigen, präsentieren, spontan kommunizieren, zulächeln, ….

Wir können uns gegenseitig nicht mehr so frei austauschen, verlieren damit gegenseitig Zusprache, Anerkennung und ein damit verbundenes motivierendes Lebensgefühl …

Viele Eltern mit schulpflichtigen Kindern müssen von zu Hause arbeiten und gleichzeitig ihre Kinder unterrichten, zwischen 2 Welten hin und her pendeln, weder das eine noch das andere mit der dafür nötigen Achtsamkeit und Wohlgefühl erledigen, was äußerst unbefriedigend ist, …

Unsere Identitäten erleiden eine Kernschmelze!

Während der Fahrzeit durch diesen Tunnel, dem Corona-Krisen-Tunnel, bei gedrosselter Geschwindigkeit und ohne äußere Ablenkungen, haben wir jedoch die Möglichkeit, unser Leben quasi in Zeitlupe zu erleben und zu überprüfen – u.a. was die Arbeitsgeschwindigkeiten, Ziele, Erfolge und Gewinne, was die persönlichen Belange und Motivationen, was die Privatsphäre, Ruhe- und Nachdenkphasen betrifft. In dem Corona-Krisen-Tunnel haben wir die Möglichkeit, darüber nachzudenken, wer wir sind und was uns im Leben wirklich Halt geben könnte – als Staat, als Unternehmen, als Gesellschaft und als Individuum.

Unsere Gewohnheiten, unseren Lebensstil zu hinterfragen, und dann auch noch zu verändern, ist jedoch nicht so leicht. Die Macht der Gewohnheit – u.U. Gewohnheits-Sucht – ist äußerst stark. Die, wenn wir diese nicht befriedigen können, uns anfangs in einen Entzug führt, der außerordentlich schmerzt – und genau das erleben vermutlich jetzt unbeschreiblich viele Staaten, Unternehmen, Menschen.

Dem wollen wir entrinnen, versuchen selbst in Krisen noch das Gewohnte zu rechtfertigen, irgendwie aufrechtzuerhalten für die Zeit danach, um den Entzug nicht spüren zu müssen, und bei der Ausfahrt vom Tunnel sofort wieder voll Gas geben zu können.

Die Sucht, die Gewohnheit ist so stark, dass wir selbst die negativen Seiten der Gewohnheit als positiv deklarieren, u.a. Autolärm, verschmutze Luft, enge Lokale, arbeitstechnische Ausbeutung, von Termin zu Termin hecheln, uvm …

Es braucht eine mächtige Kraft, um der Macht der Gewohnheit zu entrinnen, um aus einer damit verbundenen Trance, die eigentlich fast jede Gewohnheit ist, herauszutreten.

Mit dieser aktuellen Krise haben wir erstmals global verbunden die Möglichkeit zu überprüfen, zu reflektieren, dass das Leben, das wir global vor der Krise lebten, vielleicht nicht ganz optimal war, besser gelebt werden, etwas langsamer, etwas achtsamer, etwas solidarischer, Ressourcen schonender, … aufgesetzt werden könnte.

Die Tunnelfahrt rüttelt uns ziemlich durch, aber wir können das Rütteln nutzen und unser Leben, unser Wirken jetzt überprüfen und gegebenenfalls beginnen neu auszurichten, neu zu planen. Dafür braucht es jedoch weniger neue Limits bzw. neue Regeln, sondern vielmehr ein reflektives Bewusstsein. Dahingehend können wir beginnen, uns beispielsweise bei dem Thema Lebenstempo die Frage zu stellen, ob unser Lebens- und Arbeitstempo, dem wir uns fast alle ungefragt unterordnen, neu angepasst werden könnte?

War unser Lebenstempo früher von der Natur, dem Wechsel der Tages- und Jahreszeiten bestimmt, so wird seit der industriellen Revolution unser Tempo von der Geschwindigkeit des Handels und der Wirtschaft bestimmt. Und die Geschwindigkeit der Wirtschaft wird von der Geschwindigkeit der Kommunikation bestimmt.

Mit der Entwicklung des Telegraphen vor knapp 200 Jahren konnten Informationen mit etwa 3 Bit pro Sekunde weitergleitet werden. Mit dem Aufkommen des Internets stieg diese Geschwindigkeit Mitte der 1980er Jahre auf etwa 1.000 Bit pro Sekunde. Heute beträgt die Rate 1.000.000.000 Bit pro Sekunde.

Die daraus resultierende Produktivitätssteigerung in Verbindung mit dem Paradigma Zeit-gleich-Geld hat zu unserem akuten Bewusstsein für die kommerzielle und zielgerichtete Nutzung der Zeit geführt. Als Ergebnis haben wir einen rasenden Lebensstil entwickelt, in dem keine Zeit verschwendet werden darf.

Wir werden am Bahnsteig nervös, wenn der Zug Verspätung hat. Unser Stresspegel steigt, wenn wir 10 Minuten in einer Warteschlage beim Bäcker stehen und werden ungeduldig, wenn der Rechner ein Update installiert.

Wir sind ständig an das Stromnetz angeschlossen und nehmen unser Smartphone und Laptop auch in den Urlaub mit. Wir checken unsere Emails im Restaurant oder beim Spaziergang und telefonieren auf der Toilette. Wir sind Sklaven unserer dringenden Termine und To-Do-Listen geworden und sind ständig auf der Suche nach ununterbrochener Stimulation durch die Außenwelt.

Ist dieses Lebens- und Arbeitstempo wirklich auf Dauer haltbar, effektiv und effizient sinnvoll – das können wir uns jetzt während der Fahrt im Tunnel fragen.

Aber das ist bloß ein Aspekt, neben vielen anderen Themen wie Datenschutz, Einsatz künstlicher Intelligenz, Generationsprobleme, Migration wie auch Umweltschutz. All diese Themen wurden schon vor der Krise heiß diskutiert, aber meist dahingehend abgetan, dass es heißer gekocht als gegessen wird – möglicherweise ein Trugschluss. In Bezug auf die Umwelt zeigt sich in dieser Krise, dass gerade durch einen unachtsamen Umgang mit der Umwelt eine umfassende Krise herbeigeführt werden kann – wie Covid-19. Durch die äußerst schlechten Bedingungen der Tierhaltung, der Zurückdrängung des Lebensraumes durch den Bau gigantischer Städte, … wird der Nährboden für Viren und Bakterien in kaum vorstellbarer Weise forciert.

 

RESÜMEE

Jetzt im Tunnel haben wir die Chance, zumindest für ein paar Monate, unser Tun, staatlich, unternehmerisch, gesellschaftlich, individuell reflektiver zu betrachten. In der Vergangenheit haben wir uns keine Zeit dafür genommen, jetzt im Tunnel, in der Isolation, in dem äußerst eingeschränkten Leben werden wir auf uns und unser Tun zurückgeworfen. Das ist für die meisten äußerst unangenehm, es fordert in einer neuen Weise heraus. Wir können uns nicht mehr täglich mit vielen netten Zerstreuungen ablenken, und die vielen ohnehin schon lang brodelten Probleme wie Ressourcenengpässe, Umweltschutz, Datenschutz, Überalterung, … schönreden. Wir müssen uns mit uns selbst und unserem Umfeld, dem Leben im Gesamten neu auseinandersetzen.

Wir können uns jetzt entscheiden, wie wir aus dem Tunnel fahren wollen – dabei sollte uns bewusst sein, dass am Ende des Tunnels die Welt nicht mehr so sein wird, wie wir sie zuvor verlassen haben. Wir sollen uns jetzt an dem Punkt ernsthaft die Frage stellen:

Werden wir jetzt, bei den ersten Ankündigungen des „Lichts“, hochtourig, mit überhöhter Geschwindigkeit die Zeit krampfhaft wieder einzufahren versuchen, die wir scheinbar verloren haben,

oder brechen wir aus dem gewohnten Denken und Wirken aus und trainieren uns in neuen Zielvorgaben und Arbeitsmustern – sowohl als Staaten, als Unternehmen wie auch privat, um aus dieser Krise gestärkt und für weitere Krisen besser vorbereitet agieren zu können?!

Uns sollte porentief bewusst sein, dass es ein Zurück zur Normalität nach Covid-19 nicht geben wird!

Wir werden Jahre brauchen, die durch Corona zerrüttete Welt wiederaufzubauen. Ein reflektiverer Lebensstil kann uns gerade jetzt außerordentlich helfen, erfolgsversprechende Visionen und Zukunftsbilder zu entwerfen – für eine Welt, in der wir nicht von Resilienz reden, sondern Resilienz erzeugen, in der nicht Gewinnmaximierung, sondern das Überleben der Organisationen und der Menschen das Ziel ist.

Covid-19 hat uns nicht nur gezeigt, wie fragil unsere Welt ist. Covid-19 lässt uns dies, jede und jeden von uns, leibhaftig erleben. Wir haben jetzt die einmalige Chance, unser Bewusstsein, unsere Achtsamkeit, unser Verständnis von der Verbundenheit von allem neu auszurichten. Ross Ashby, Stafford Beer, Viktor Frankl und Heinz von Foerster hatten bereits die Richtung aufgezeigt. Lasst uns ihre Impulse aufgreifen und weiterentwickeln.

Wir brauchen heute Mut und Lust auf eine neue Zukunft, dann klärt sich auch wieder unser Blick, der gegenwärtig durch die Krise stark getrübt ist.

Lasst uns gedanklich in die Zukunft springen, zwei Jahre voraus: Wir bauen die Zukunft wieder auf, das ist gewiss – aber wie? Nimm Papier und Bleistift und beschreibe das Bild Deiner Zukunft. Bewerte Deine Gedanken nicht, schreibe einfach drauflos. Höre auf Deine Intuition, auf Deinen Bauch. Beschreibe Dein Zukunftsbild so konkret wie möglich, wie sieht es aus, wie hört und fühlt es sich an. Beginne mit dem Bild Deiner Zukunft – Jetzt!

Ihr Günther Wagner

 

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