Die Wahrheit des Lügens ist allgegenwärtig
Das Image der Unternehmen, Vorstände und Manager wird erneut in Frage gestellt. Diesmal steht die Daimler AG in Kritik.
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Wer wird als nächstes im Feuer der Kritik stehen?
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Kann das auch Ihr Unternehmen treffen?
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Wäre es möglich, dass sogar Sie selbst angeklagt werden können, weil Sie vielleicht einmal nicht ganz die Wahrheit gesagt, oder bestimmtes Wissen zurückgehalten haben?
Vor knapp 3 Jahren versicherte der Daimler-Chef Dieter Zetsche, es gibt keinerlei Manipulationen an ihren Fahrzeugen.[1] Im Social-Media Leitfaden der Daimler AG stellen sie an sich selbst die Anforderung, Falschaussagen oder Weglassungen von Informationen umgehend aufzudecken.[2] Aktuell heißt es, dass Daimler europaweit 774.000 Fahrzeuge wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung zurückrufen muss.[3] Fazit: Die Daimler AG scheint gelogen bzw. relevante Informationen zurückgehalten zu haben.
Ich möchte mich jedoch jetzt nicht in den Reigen der KritikerInnen einfügen, sondern einmal eine andere Perspektive bzw. Blick auf die Situation von Daimler einnehmen. read more Um Lügen zu zügeln bzw. besser zu managen, braucht es viel Achtsamkeit, Courage und die Auseinandersetzung mit Angst. Bloß ein paar Regeln aufstellen genügt nicht, Lügen haben tiefe Wurzeln. Ich gehe davon aus, dass der Leitfaden von Daimler und die damit u.a. verbundene Aufgabe, nicht zu lügen und Informationen offen zu legen, mit Bemühen zur Einhaltung aufgesetzt wurden. Daimler hat sich mit den Tugenden von Ehrlichkeit und Offenheit auseinandergesetzt. Zu Schönwetterzeiten mögen diese Werte bei Daimler sicher auch von Relevanz sein. Doch die Realität ist nicht bloß ein Spaziergang bei schönem Wetter. Und genau an diesem Punkt beginnt der Einstieg, die Grundsteinlegung für ein möglicherweise irgendwann kaum noch zu bändigendes Lügenkonstrukt. Der erste Schritt der Lüge ist meist harmlos. Man meint, das schadet niemandem. Der erste Schritt wird oft auch unbewusst gesetzt, läuft so nebenbei, um die Schönwetterstimmung nicht zu verlieren. Die weiteren kleineren zusätzlichen Lügen wirken auch noch unbedeutend. Mit der Zeit braucht es jedoch immer größere Lügenbausteine, um die Situation zu bewältigen, ohne eine erste peinliche Offenlegung geben zu müssen. Und irgendwann ist es dann fast unmöglich das gesamte Lügenkonstrukt noch in der Gesamtheit zu durchschauen und offen darüber zu sprechen. Wie geht es Ihnen, wenn Sie merken, dass kleinere, harmlos anmutende Lügen irgendwann doch nicht mehr ganz so harmlos sind? Wagen Sie dann die Offenlegung der Lügen? Der Stanford-Professor Jeffrey Pfeffer meint, dass alle lügen, und dies die Regel sei.[4] Professor Mecke von der Universität Regensburg schätzt die Lügendosis der Menschen auf etwa 200 Mal pro Tag.[5] Pfeffer argwöhnt, er könnte Topmanager für Topmanager durchgehen und ihre Lügen aufzeigen, angefangen bei Steve Jobs. In der Softwarebranche lügen einfach alle, dafür wurde sogar eigens ein Begriff „Vaporware“ geschaffen.[6] Die meisten Menschen lügen aus Höflichkeit, aus Scham, Angst, Unsicherheit oder Not. Der Haken an der Sache: Aus einer kleinen Schwindelei oder einer zurecht gebogenen Wahrheit kann eine handfeste Lüge werden, bis hin zum kaltblütigen Betrug – die Übergänge sind eben fließend. Kleine Flunkereien bleiben oft lange verborgen, können in ihren Auswirkungen jedoch genauso desaströs sein wie ein Betrug.[7] Die meisten Menschen lügen, täuschen oder schwindeln, um unangenehmen Dingen aus dem Weg zu gehen, Konflikte zu vermeiden, die entstehen könnten, wenn man die Wahrheit sagt.[8] Das ist menschlich betrachtet doch sehr nachvollziehbar und verständlich. Es geht nicht darum, nicht zu lügen, sondern bewusst abzuschätzen, welche Folgen Lügen mit sich bringen – für einen selbst, für MitarbeiterInnen und die Gesellschaft. Es geht beim Thema Lügen um Verantwortungsbewusstsein, Selbsterkenntnis und Weitblick. So gesehen möchte ich jetzt weniger vom Lügen sprechen, sondern viel mehr auf Ihr und mein Verantwortungsgefühl appellieren: Kann ich mir, ohne mich gleich selbst zu verurteilen, die Frage stellen, ob ich in Bezug auf eine Entscheidung in Bedrängnis komme und damit ein Lügenkonstrukt als Abwehr aufbaue? Möchte ich gerne als ein strahlender Erfolgsheld im Unternehmen gesehen werden, der alles gut im Griff hat und versuche mit entsprechenden Worten dieses Erfolgsbild zu untermauern – ähnlich wie der Lügenbaron Münchhausen in seinen Geschichten? Ich möchte noch einen Schritt weitergehen und mich zusätzlich fragen, ob ich mir der Folgen einer durch ein Lügenkonstrukt getroffenen Selbstdarstellung und den entsprechenden Entscheidungen wirklich bewusst bin? Selbstlügen Grundsätzlich belügen sich die Menschen selbst am meisten. Selbstlügen helfen, optimistisch in die Zukunft zu schauen und selbstmanipulierend an dem vermeintlichen Lebensglück zu basteln.[9] Das tut bei genauer Betrachtung in mannigfacher Weise jeder und jede. Die Lüge beginnt aus vertrauensvoller Absicht, glücklich zu werden – und wer will das nicht. Selbstverständlich sind die Erfüllungsziele unterschiedlich, doch der Weg dorthin wird bei vielen ähnlich begleitet durch Selbstlügen. Höher-schneller-weiter-Lüge Eine mit der Selbstlüge eng verbundene Lüge ist die „höher-schneller-weiter“-Lüge.[10] Meiner Meinung nach kann diese nicht getrennt von den Selbstlügen betrachtet werden. Denn für Glück ist auch Anerkennung relevant, und mit dem höher-schneller-weiter-Lügenkonstrukt versucht man sich gut und charismatisch, erfolgreich und wichtig darzustellen – unabhängig davon, in welchem Bereich man tätig ist. Das ist oft auch verbunden mit dem Einkassieren von Vorteilen und Benefits – womit wir gleich bei dem nächsten Motiv für Lügen wären. Lügen zwecks Vorteile verschaffen / Benefits kassieren Um sich Vorteile und Benefits zu verschaffen, wird ebenfalls gelogen.[11] Das läuft zum Teil sogar unbewusst ab. Es braucht meiner Erfahrung nach wirklich viel Selbsterkenntnis und Selbstcourage, um sich ehrlich einzugestehen, dass man eigentlich darauf aus ist Vorteile und Benefits zu sammeln. Es braucht ein großes Maß an Selbstreflexion, um sich der Tragweite bewusst zu werden, was man tatsächlich alles tut, um sich besser darzustellen, sich als GewinnerIn zu positionieren, Anerkennung zu bekommen und das damit vielleicht verbundene Lebensziel von einem erfolgreichen Manager zu erreichen. Lügen aus Angst vor Strafen oder Peinlichkeiten Ich nehme an, dass jeder und jede von Ihnen das Lügen aus Angst vor Strafen und Peinlichkeiten kennt.[12] Dem zugrunde liegt meist ein Fehlverhalten, deren Folgen, sprich Bloßstellungen und Strafen man zu entrinnen versucht. Die Auseinandersetzung mit dieser Angst ist u.a. auch ein ausnehmend relevanter Punkt im Implementieren einer positiven Fehlerkultur. Wirkt im Unternehmen eine negative Fehlerkultur, wirkt die Angst vor Strafen. Und genau das führt dann dazu, dass in Verbindung mit den anderen Lügenmotiven, Lügenkonstrukte entstehen, die irgendwann einmal kaum noch zu durchblicken sind. Lügen zwecks Machterhalt Und auch das Lügenmotiv zum Machterhalt kann streng genommen nicht getrennt von all den anderen Lügenmotiven gesehen werden. Mit dem entsprechenden Handwerkzeug versuchen viele seine/ihre Macht zu sichern – und das scheint sozial scheinbar voll akzeptiert zu sein. Den Glaubwürdigen wird dabei unterstellt, dass sie sich betrügen lassen wollen bzw. nicht fähig sind, die Täuschungen und die Betrügereien zu erkennen.[13] Vermutlich entgeht niemanden, dass mit der Ära Donald Trump das Lügen als Machtinstrument so deutlich und offen wie selten zuvor genutzt wird. Fact-Checker wiesen alleine in einer einzigen seiner Wahlkampfreden 71 Lügen nach.[14] Trump nutzt gerne die Social Medias, um seine Offenbarungen zu veröffentlichen. Aber gerade die Medien, die Trump gebraucht, sind gleichzeitig auch die Aufdecker der Lügen. Irgendwann kommt die Lüge im Netz ans Tageslicht und verbreitet sich in ungeahnter Weise. Doch selbst das scheint sozial akzeptiert zu sein. Es wird zwar geschimpft, aber mehr scheint auch nicht zu passieren. Vielleicht deshalb, weil es so gut wie niemanden auf der Welt gibt, der nicht lügt, und damit jeder und jede wegen Lügen überführt werden könnte. Gleichzeitig sollte genau das äußerst nachdenklich stimmen. Denn genau eine solche Haltung führt dazu, dass unter Umständen wichtige Entscheidungen nicht getroffen werden, weil Verantwortliche es nicht wagen, sich den Lügenkonstrukten couragiert entgegenzustellen. Wie schon Professor Pfeffer sagt, Lügen ist ganz normal und scheint damit in Ordnung zu sein. Es gibt vermutlich Lügen, die wirklich zum Schutz von anderen oder einem selbst dienen. Aber ich nehme an, abgeleitet von mir selbst und meinen Beobachtungen von mir, dass viele Lügen eher aus Bequemlichkeit, überzogenem Egoismus bzw. Anerkennungs- und Machtsucht oder Angst heraus entstehen. Diese Lügen sind zwar akzeptiert, doch gesund würde ich das nicht bezeichnen. Das erscheint mir so, als ob ich es bejahe mit einem übersäuerten Magen zu leben, obgleich das auf längere Sicht hin nicht gut ist und negative Folgen haben wird. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will in Bezug auf Lügen und Täuschungen wirklich niemanden zu Recht weisen. Lügen gehört zu unserem Leben. Ich selbst bin davon nicht ausgeschlossen, und würde mir in keiner Weise anmaßen zu behaupten, nicht zu lügen. Viele Manager leisten wirklich gute Arbeit. Ich möchte jedoch ein wenig wachrütteln, mich selbst und andere, um das Thema Lügen im Management etwas besser in den Griff zu bekommen. Meiner Meinung und meinem Verständnis nach gibt es dazu eigentlich nur einen Weg: Den Weg der verstärkten Achtsamkeit in Verbindung mit der Auseinandersetzung von Ängsten. Es gibt sicher eine Reihe weiterer sinnvoller Maßnahmen, beispielsweise die Pawlowsche Reflexfrage, die Rapport-Methode, die Dilling-Methode [15], die als hilfreich angesehen werden. Ich persönlich nutze diese Instrumente jedoch erst, wenn ich tatsächlich spürbar genug Achtsamkeit an den Tag legen kann, und wenn ich mich gleichzeitig meinen Ängsten zu stellen wage. Die anderen Methoden sind gut, aber greifen meiner Erfahrung nach einfach nicht tief genug, um die Wurzeln der Lügen entsprechend behandeln zu können. Genau genommen kann eigentlich nur Liebe das Lügen bändigen. Jens Roeper, Executive Director von Designit spricht von der Verbindung von Kopf und Herz.[16] Aber das im Wirtschaftskontext als Managementinstrument zu bewerben, das ist für viele ein No-Go. Eigentlich schade, denn das könnte manches erleichtern. Der Wettbewerb mag zwar mit Liebe vermutlich nicht weniger werden, die Komplexität mag nicht sinken, aber man hätte vielleicht einen anderen Blick auf das Geschehen und damit Lösungen, die man sonst nicht kreieren könnte – ich weiß, eine gewagte Annahme. Abschließen möchte ich diesen Beitrag mit den Worten von Emanuel Kant: Nach Kant ist die Selbsttäuschung fast noch schlimmer als die Täuschung gegen andere.[17] Die Lüge ist nicht bloß eine Lüge nach außen, sondern vielmehr eine Lüge nach innen. Ihr Günther Wagner PS: Um meine zukünftigen Beiträge zu lesen, können Sie mir auch auf LinkedIn und Twitter folgen. Darüber hinaus finden Sie in der Gruppe „Leadership Café …“ neben meinen Beiträgen ebenso Beiträge anderer HR Influencer. Literaturquellen: [1] https://www.n-tv.de/wirtschaft/Vorsicht-Daimler-ist-nicht-VW-article19937845.html. Am 2018-06-19 gelesen. reduce text
Lügen scheint die Regel
Relevante Motive der Lügen
Appell an die Ehrlichkeit
[2] https://www.daimler.com/dokumente/konzern/sonstiges/daimler-socialmedialeitfaden-de.pdf. Am 2018-06-19 gelesen.
[3] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/international/970378_Daimler-muss-europaweit-774.000-Fahrzeuge-zurueckrufen.html. Am 2018-06-19 gelesen.
[4] http://www.harvardbusinessmanager.de/blogs/alle-luegen-das-ist-die-regel-a-1149860.html. Am 2017-06-07 gelesen.
[5] https://www.hrtoday.ch/de/article/die-psychologie-der-luege. Am 2018-06-19 gelesen.
[6] http://www.harvardbusinessmanager.de/blogs/alle-luegen-das-ist-die-regel-a-1149860.html. Am 2017-06-07 gelesen.
[7] http://www.seneca-vision.de/blog-klaus-peters-seneca-vision/item/21-l%C3%BCgen-am-abgrund-baron-m%C3%BCnchhausens-wilde-kapriolen-im-management.html. Am 2017-06-07 gelesen.
[8] https://www.hrtoday.ch/de/article/die-psychologie-der-luege. Am 2018-06-19 gelesen.
[9] https://www.hrtoday.ch/de/article/warum-menschen-luegen. Am 2018-06-19 gelesen.
[10] https://www.hrtoday.ch/de/article/warum-menschen-luegen. Am 2018-06-19 gelesen.
[11] https://www.hrtoday.ch/de/article/motive-der-luege-. Am 2018-06-19 gelesen.
[12] https://www.hrtoday.ch/de/article/motive-der-luege. Am 2018-06-19 gelesen.
[13] Leyendecker, Hans: Die Lügen des Weißen Hauses. Warum Amerika einen Neuanfang braucht. 1. Auflage. Rowohlt Verlag GmbH. Hamburg: 2004.
[14] https://blog.zhaw.ch/humancapital/2017/03/16/luege-und-wahrheit-im-management/. Am 2017-06-07 gelesen.
[15] https://www.hrtoday.ch/de/article/appell-an-die-ehrlichkeit. Am 2018-06-19 gelesen.
[16] http://se.linkedin.com/pulse/unser-immer-schnelleres-leben-schreit-danach-sich-wieder-sara-weber. Am 2017-06-01 gelesen.
[17] http://www.seneca-vision.de/blog-klaus-peters-seneca-vision/item/21-l%C3%BCgen-am-abgrund-baron-m%C3%BCnchhausens-wilde-kapriolen-im-management.html. Am 2017-06-07 gelesen.