
DAS MANAGEMENT IM LIEGESTUHL AUF DER TITANIC
Changeprozesse initiieren ist noch immer topaktuell und in aller Munde – in jedem Unternehmen, global verstreut. Es wird jedoch selten von Revolution gesprochen – vermutlich nicht grundlos, weil die Folgen einer solchen für viele noch nicht greifbar genug sind, um Changeprozesse zu Revolutionsprozessen werden zu lassen. Obgleich der Ruf nach diesen kaum noch zu überhören ist.
Revolution steht für einen grundlegenden und nachhaltigen strukturellen Wandel, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt.[1] Und genau das ist es, was wir alle gegenwärtig erleben. Ein Change umfasst das in keiner Weise. Eine Revolution rollt über jeden Change hinweg.
Viele Unternehmensverantwortliche verhalten sich wie auf einem Liegestuhl auf der Titanic.[2]
Das sind die Worte von Thomas Sattelberger, der lange Zeit als der mächtigste Personalchef in Deutschland galt, und dem eine 100-Stunden-Wochen nichts auszumachen schien. Er galt als erfolgreicher Revoluzzer in den Unternehmen, und hat mit schonungslosen Urteilen um sich geworfen, u.a. mit:[3]
Deutsche Vorstände sind zu einem großen Teil Autisten, die keine Botschaften aus der Gesellschaft aufnehmen.
Eine wirklich harte Kritik. Seine Aussagen gehen unter die Haut. Genau das, was auch jede Revolution tut. Ein Change ist zu vergleichen mit einem neu aufgesetzten Makeup. Eine Revolution ist ein tiefgreifender Einschnitt mit entsprechenden Auswirkungen. Sattelbergers Aussagen mögen vielleicht keine stille Revolution auslösen, aber bei genauer Betrachtung geht es auch bei Sattelberger um das: Es geht darum, sich selbst zu finden, um eine gute Führungskraft sein zu können – und das passiert zu aller erst in einem selbst, in einer stillen Revolution.
Das erscheint notwendig, weil die Art und Weise wie das Management agiert, die Zukunft zerstört. Sattelberger sprach davon, dass er, wie alle anderen im Management auch, sich eine Art Tarnkappe überstülpte, bevor er zur Arbeit erschien. Er verurteilte, dass ein guter Teil der Arbeit in Organisationen aus mittelalterlichen Turnierspielen und internem Verdrängungswettbewerb bestehe. Als Manager war man mehr damit beschäftigt seine Achillesferse zu schützen, als große Changeprozesse couragiert in Umsetzung zu bringen.
Und so kam es, dass Sattelberger fast 40 Jahre lang nie öffentlich über seine Vergangenheit als linker Aktivist sprach. Sattelberger gilt jedoch als jemand, von dem man Zivilcourage und Mut lernen könne, es anders zu machen als der Mainstream. Gleichzeitig war Sattelberger aber auch nicht davor gefeit, im Tunnelblick Business hängenzubleiben, und damit Empathie für Freunde und Familie zu verlieren. Er sagt von sich selbst:[4]
Man meint, ein toller Hecht zu sein, und ist in Wirklichkeit ein armer Hansel – physisch und psychisch erkrankt.
Genau an diesem Punkt startet meiner Meinung nach die Revolution – die individuelle und gesellschaftliche Revolution, um die es auch in dem am 22.03.2018 in die Kinos kommenden Film „Die stille Revolution“ geht. Der Film greift relevante Fragen auf, und initiiert notwendige Reflexionen in Bezug auf das weitere menschliche Zusammenwirken, u.a.:
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Wie lange noch kann das Ziel der Gewinnmaximierung das Ausnutzen von menschlichen Ressourcen rechtfertigen?[5]
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Wie wollen wir arbeiten?
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Wie werden wir in Zukunft arbeiten können?[6]
Die gegenwärtigen Umwälzungen sind enorm – auf allen Ebenen. Nur wenige sind vermutlich jedoch bereit, den möglichen Auswirkungen der Veränderungen offen ins Auge zu blicken. Wenige wagen es sich ehrlich einzugestehen, dass weit mehr als bisher getan werden muss, um mit dem Wandel mithalten zu können. Der Film „Die stille Revolution“ wagt am Beispiel von Upstalsboom den Blick auf anstehende Veränderungen. Bodo Janssen, der Betreiber der Upstalsboom Hotelkette, sieht eine Chance für die Zukunft durch die Einsicht der Unternehmen, sich von der Ressourcenausnutzung zu verabschieden, und sich der Potentialentfaltung zuzuwenden.[7]
Das beginnt jedoch zu allererst bei einem selbst. Bevor man das Unternehmen erfolgreich durch den Wandel führen kann, muss man die persönliche Haltung als Führungskraft verändern – mit Hauptaugenmerk auf das Menschliche. Davon sprach auch schon Jack Ma, Satya Nadella, u.a..
An die Stelle des quantitativen Wachstums soll das Streben nach qualitativen Werten treten.[8] Das klingt eigentlich wunderbar. Aber selbst eine so scheinbar aufs erste wohltuende, gesunde Veränderung ist alles andere als angenehm und schön in der persönlichen Umsetzung. Man mag es schwer glauben, aber der Wandel weg von Ausbeutung hin zur Potentialentfaltung bringt für viele zu aller erst einmal Frust, Verlustängste, Unsicherheit, sogar Wut. Das erscheint wie ein Paradoxon, ist aber erklärlich.
Das System der Ausbeutung sind wir einfach schon sehr gewohnt. Wir sind damit vertraut und es gibt uns scheinbar Sicherheit. Hier wirkt die Kraft der Gewohnheit, die bei kleinsten Änderungen ein Veto einlegt, selbst dann, wenn diese Veränderungen gesund und gut wären. Das ist die enorme Hürde in jedem Changeprozess, in jedem Wandel, in jeder Revolution – der Mensch.
Und genau deshalb ist es so unglaublich wichtig, sich aktuell im Management mit dem Menschen im Unternehmen auseinanderzusetzen. Die Stimmen dafür werden ohnehin immer lauter und medial präsenter, u.a. beim World Economic Forum 2018. Dort hieß es, dass Unternehmen und ganze Gesellschaften heftige Probleme bekommen, wenn sich die Art und Weise wie Arbeit verstanden und verrichtet wird nicht bald ändert.[9]
Es mangelt nicht an Know-how. Es mangelt jedoch an Know-why. Worin liegt der Sinn des unternehmerischen Handelns? Nur darauf, Gewinne zu maximieren? Bodo Janssen hat am eigenen Leib, als er ins elterliche Unternehmen einstieg, erfahren, dass die Führungsweise im Unternehmen niederschmetternd war. Er begann radikal umzudenken. Er entwickelte völlig neue Formen der Unternehmensführung – Grundsätze, die genug Sprengstoff in sich tragen, um das Verhältnis zueinander in der gesamten Gesellschaft zu verändern.
Er begann mit der Veränderung bei sich selbst. Selbsterkenntnis ist das zentrale Instrument im neuen Management, um sich selbst und andere verantwortungsbewusst zu führen und eine lebenswerte Wirtschaft zu gestalten.[10] Unternehmen tragen eine enorme Verantwortung. Diese Verantwortung gilt es als Führungskraft zu vertreten, entsprechend dieser auch das in jedem Unternehmen vorhandene qualitative, menschliche Potential zu stärken und quantitative Ausbeutung zu begrenzen.
Ein standardisiertes Rezept gibt es dafür allerdings nicht, ebenso wenig wie einen vielgeliebten vorgefertigten Ablauf. Es ist ein persönlicher Prozess, der einer Unternehmensumstrukturierung vorausgehen muss – dieser bleibt individuell und muss von jedem/jeder persönlich erfahren werden.[11] Wer führen will, muss zu den Tiefsten seiner/ihrer selbst vordringen, sich seiner/ihrer Anlagen und brachliegenden Potenziale bewusst werden und sich vor allem auch mit seinen Schattenseiten auseinandersetzen.[12] Um es auf den Punkt zu bringen:
Wer eine gute Führungspersönlichkeit sein möchte, muss sich gnadenlos ehrlich den Spiegel vorhalten und hinsehen![13]
Es geht um die einfach scheinende, aber meist unglaublich schwierige und gleichzeitig bahnbrechende Erkenntnis, dass das eigene Verhalten immer Einfluss auf das Gesamtsystem hat und unvorstellbar große Kreise zieht – im Positiven wie im Negativen. Es geht um den Mut, nachteiliges Verhalten ehrlich und tiefgründig zu reflektieren.[14] Es geht darum, sich selbst zu finden, um eine gute Führungskraft sein zu können. Menschlichkeit ist eben kein Zufall, und begeisterte MitarbeiterInnen sind keine Selbstverständlichkeit. Es geht dabei zentral um 3 Fragenkomplexe:[15]
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Welche geistigen Voraussetzungen benötigt eine zukünftig erfolgreiche Führung?
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Was vernebelt den Blick für die neuen Kompetenzen im Management?
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Welche Motive können anstelle wirtschaftlicher Gründe, wie hohe Rentabilität, Umsatzsteigerung und Gewinnmaximierung, noch stehen?
Um diese 3 Fragenkomplexe beantworten zu können, braucht es einen neuen Blick auf das was man tut. Hier genügt kein Fach-Know-how. Hier sind ehrliche Reflexion und soziale Skills gefragt. Aus meiner Fachkenntnis heraus, in Verbindung mit meiner langjährigen Praxis der Achtsamkeit, würde ich auf die Fragen so antworten:
Um als Führungskraft eine verantwortungsbewusste Haltung wahrnehmen zu können, unabhängig von Bildung und Status, braucht es …
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rationale und emotionale Auseinandersetzung mit der Macht der Gewohnheiten
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bewusst werden der Verführungsmechanismen der Macht mit couragiertem Fingerspitzengefühl
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verdrängte Ängste mit viel Mitgefühl zum couragierten internen Berater werden lassen
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viele Fragen stellen und reflektieren, um nicht gleich wieder an der Oberfläche einer nächsten Ideologie hängen zu bleiben, …
Der Weg der Achtsamkeit ist meiner Erfahrung nach hierfür ein äußerst hilfreiches Instrument – auch dann, wenn es darum geht über den Tellerrand zu blicken. Anlehnend an Worte von Janssen[16] möchte ich jetzt mit Ihnen einen kleinen Ausflug machen:
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Brunnen vor sich und schöpfen aus dem Brunnen Wasser. Was sehen Sie in diesem Brunnen, wenn Sie sich neben dem Wasserschöpfen kurz Zeit nehmen und in den Brunnen blicken? Vermutlich unruhiges Wasser. Was passiert, wenn Sie für einige etwas längere Zeit aufhören Wasser zu schöpfen? Das Wasser wird sich beruhigen, die Wasseroberfläche wird glatt wie ein Spiegel, in den man sich selbst erkennen kann. Doch wie oft hören Sie auf, das Wasser zu schöpfen? Und wenn Sie mit dem Schöpfen aufhören, wie lange machen Sie dann tatsächlich mit dem Wasserschöpfen Pause, so dass sich das aufgewühlte Wasser sichtbar beruhigen kann? Nehmen Sie sich dann auch die Zeit, das stille Wasser zu betrachten, oder tun Sie statt dem Wasserschöpfen etwas anderes? Und falls Sie tatsächlich in das stille Wasser blicken, was sehen Sie dann im Spiegel der Wasseroberfläche?
Spannend an dieser Geschichte ist, dass viele bemerken, dass das Wasserschöpfen eigentlich sehr anstrengend ist, aber jeder tut es. Man ist müde davon, aber gleichzeitig scheint das im Leben normal zu sein, dass man das so tut. Im Gegenteil: Das Wasserschöpfen ist einem so vertraut, das gibt Sicherheit und damit verbunden Wohlgefühl und sogar einen Sinn im Leben. Kaum jemand stellt das Wasserschöpfen in Frage und wenn, dann oft nur, wenn man von einem größeren Schicksalsschlag getroffen wird. Aber selbst dann neigen noch einige dazu, noch mehr Wasser zu schöpfen, anstelle damit aufzuhören, und sich selbst einmal etwas genauer zu betrachten.
Diese Art das Leben zu leben, die Arbeit zu verrichten, darf jedoch auf keinen Fall kritisiert werden. Das ist die Art und Weise wie wir alle fast ausnahmslos erzogen worden sind. Der Weg der achtsamen Pausen, der reflektierten Betrachtung steht kaum irgendwo auf dem Lehr- und Ausbildungsplan. Doch immer mehr Menschen, auch in der Wirtschaft, merken, dass es wie bisher nicht mehr weitergehen kann, und rufen zu einer Art Revolution auf. Genau das tat Jack Ma beim World Economic Forum 2018. Genau das tut aktuell Bodo Janssen mit dem am 22.03.2018 in die Kinos kommenden Film „Die stille Revolution“. Die Wikileaks dieser Welt tragen dazu bei, das Wirken der Mächtigen zu hinterfragen. Engagierte Initiativen versuchen zu veranschaulichen, was mit der Umwelt passiert. In zahlreichen Blogs und Diskussionen wird hinterfragt – manchmal mit positiven Ausblick, aber oft mit verstörten, verärgerten Gegenargumenten.
Jedes Infragestellen von dem, was wir jetzt als erfolgreichen Weg bezeichnen entzieht jenen, die damit bisher erfolgreich waren und das auch weiterhin so praktizieren wollen, deren Berechtigung so weiter zu machen wie bisher. Das muss auf Widerstand stoßen. Das geht gar nicht anders.
Deshalb braucht eine Revolution, aber auch schon jeder kleine Change, ein feinfühliges diplomatisches Bemühen von Menschen, die zwischen verschiedenen Denk-, Lebens- und Arbeitsmodellen kompetent hin und her pendeln können. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass der Weg der Erkenntnis alles andere als einfach ist. Täglich ist man aufs Neue gefordert der Macht der Gewohnheiten, der Eitelkeiten und Egoismen zu widerstehen, und etwas einsichtiger und verantwortungsbewusster zu agieren. Aber die Mühe lohnt sich, das kann ich auch sagen.
Das Leben und das berufliche Wirken wird deutlich entspannter. Man muss sich selbst nicht mehr ständig belügen, und sich besser darstellen als man unter Umständen ist. Man kann mit Fehlern und Schwächen weitaus besser umgehen. Man erntet ehrliche Anerkennung, die dann wirklich unter die Haut geht. Man fühlt mehr Vertrauen und Zufriedenheit, und man muss nicht unentwegt von einem zum nächsten Befriedigungskick springen. Man fühlt mehr Verbundenheit mit dem Leben als Ganzes, das fördert das Wohlgefühl und eine gesunde Motivation. Man begreift, dass man als erfolgreicher Mensch nicht unbedingt glücklich ist, aber als glücklicher Mensch erfolgreich ist.[17]
Ihr Günther Wagner
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Literaturquellen:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Revolution. Am 2018-02-21 gelesen.
[2] http://teambenedikt.de/?p=832. Am 2018-02-20 gelesen.
[3] https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2014/werbung/der-getaktete-mensch. Am 2018-02-20 gelesen.
[4] https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2014/werbung/der-getaktete-mensch. Am 2018-02-20 gelesen.
[5] http://www.ilwis-hr.com/news-detail/article/Buchtipp-die-stille-revolution/. Am 2018-02-20 gelesen.
[6] http://teambenedikt.de/?p=832. Am 2018-02-20 gelesen.
[7] https://www.die-stille-revolution.de/#. Am 2018-02-20 gelesen.
[8] http://teambenedikt.de/?p=832. Am 2018-02-20 gelesen.
[9] https://www.linkedin.com/pulse/das-ausmaß-der-digitalisierung-wird-unterschätzt-günther-wagner/.
[10] https://www.die-stille-revolution.de/#personen. Am 2018-02-20 gelesen.
[11] http://teambenedikt.de/?p=832. Am 2018-02-20 gelesen.
[12] www.ilwis-hr.com/news-detail/article/Buchtipp-die-stille-revolution/. Am 2018-02-20 gelesen.
[13] www.ilwis-hr.com/news-detail/article/Buchtipp-die-stille-revolution/. Am 2018-02-20 gelesen.
[14] www.ilwis-hr.com/news-detail/article/Buchtipp-die-stille-revolution/. Am 2018-02-20 gelesen.
[15] www.ilwis-hr.com/news-detail/article/Buchtipp-die-stille-revolution/. Am 2018-02-20 gelesen.
[16] Janssen, Bodo: Die stille Revolution. Führen mit Sinn und Menschlichkeit. 6. Auflage. Ariston Verlag. München. 2016.
[17] https://www.facultas.at/facultas/list?back=b82ba884645f68a4d1a32e32e014cfc3&xid=7507311. Am 2018-02-20 gelesen.