Produktive Wege finden im grenzenlosen Wettbewerb
Das Credo der Wirtschaft lautet Wachstum. Wirtschaft und Wachstum agieren wie ein hochdynamisches, nach Erfolg strebendes Paar. Der Wachstumsgedanke spornt die Wirtschaftstreibenden an, und umgekehrt infiltriert die Wirtschaft den Wachstumsgedanken nach Höher-Schneller-Weiter. Es scheint für dieses erfolgsstrebende Paar keine Grenzen zu geben. Alles ist möglich, wenn man nur will!
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Zum einen ist dieser Gedanke „Alles ist möglich“ vom erfolgsverwöhnten Paar „Wirtschaft und Wachstum“ richtig und wichtig, um Innovationen und Veränderungen voranzutreiben.
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Zum anderen ist jedoch genau diese Vorgehensweise gleichzeitig ein Hindernis, das Innovationen und Veränderungen ebenso zu Fall bringt.
Warum, das möchte ich in diesem Beitrag versuchen, etwas näher zu beleuchten. read more Grenzen überschreiten, wachsen können ist für viele Menschen lebensnotwendig – in der Wirtschaft sogar scheinbar überlebensnotwendig. Darüber hinaus ist es aber auch äußerst anziehend, löst Begeisterung und Anerkennung aus. Jedes Kind strebt nach Wachstum, und hadert mit Grenzen. Jede Generation versucht die Grenzen neu auszuloten, und das, was die Väter und Mütter als unmöglich definieren, möglich zu machen.[1] Und selbst jene, die vor Grenzüberschreitungen Angst haben, sind im Stillen irgendwie davon beeindruckt. Das Spiel mit den Grenzen erleben alle von uns täglich – im Kleinen wie im Großen. Das Spiel mit den Grenzen ist reizvoll und motivierend, frustrierend und beängstigend, und manche sprechen auch vom maßlosen Umgang. Jeder dieser Aspekte ist richtig und wichtig – und genau das ist es, was die Meisterschaft in Grenzgängen, beim Überwinden von Grenzen, beim Wachsen können ausmacht. Genau das stimmt mich jedoch nachdenklich, und führt mich zu der Frage: Um darauf Antworten bzw. Anregungen zu finden, wende ich mich an MeisterInnen der Grenzgänge, u.a. an Reinhold Messner: Messner spricht von Grenzgang, wenn er große Schwierigkeiten überwindet, sich Gefahren stellt, die er nicht kennt, um diesen auszuweichen. Das funktioniert nur mit Selbstmächtigkeit – das heißt, GrenzgängerInnen haben die hundertprozentige physische und psychische Kompetenz dazu. GrenzgängerInnen kennen sich selbst, sie wissen genau was sich in ihnen körperlich, geistig und emotional abspielt, und wie das Umfeld, beispielsweise das Team, aber auch die Umwelt, die Berge, die Wüste oder das Meer auf sie als Mensch einwirkt. Man muss sich selber und anderen gegenüber verantwortungsbewusst sein, um zu überleben, Altruismus und Egoismus sind in Grenzgängen parallel geschalten.[2] Die GrenzgängerInnen entwickeln Instinkte, die sich aus langjähriger persönlicher Erfahrung, viel Reflexion und Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt aufbaut. Diese Erfahrung muss jeder/jede GrenzgängerIn selbst entwickeln, die kann man nicht von anderen als ergänzende Know-how-Punkte einfach übernehmen. Der Grenzgang ist kein Spaß, sondern etwas sehr Ernstes. Auch wenn es heute scheint, dass jeder/jede den Mount Everest besteigen kann, weil die Infrastruktur bestmöglich ausgebaut ist, kann das nicht davor weg täuschen, dass in Gebieten, wo die Infrastruktur noch nicht so perfekt aufgebaut ist, andere Bedingungen vorherrschen und damit ein anderes Know-how notwendig ist – beispielsweise aktuell in der digitalen Revolution.[3] Nehmen Sie sich bitte etwas Zeit, dieser Frage still für sich selbst nachzugehen, bevor Sie weiterlesen. Ein weiterer Grenzgänger, der Schweizer Jérémie Heitz, ein Grenzgänger mit Ski, fuhr von 15 Wänden, alle steiler als 50 Grad. Er spricht davon, dass er seine Aufregung und Begeisterung gleichermaßen im Griff haben muss, um den Grenzgang erfolgreich zu bewältigen. Der Wiener Herbert Nitsch sieht es in ähnlicher Weise. Nitsch taucht tiefer als jeder andere Mensch, sprich 240 Meter tief ohne Luft aus der Flasche. Für Nicht-Taucher ist alles, was nur zehn Meter unter der Wasseroberfläche liegt, so unerreichbar wie der Mond. Tauchen ohne Pressluftflasche ist für Nitsch jedoch das Natürlichste der Welt. Dabei geht es seiner Erfahrung nach nicht darum, möglichst viel Luft einzuatmen, sondern darum, den Sauerstoffverbrauch zu reduzieren.[4] Diese Erfahrung von Nitsch, nicht die Ressourcen voll auszuschöpfen, sondern im Gegenteil, Ressourcen zu sparen, um den Grenzgang zu bewältigen, finde ich persönlich einen sehr spannenden Denkansatz. Das bewegt mich gleich zu der nächsten Frage: Auch bei dieser Frage bitte ich Sie, sich etwas Zeit zu nehmen, der Frage Raum zu geben. Vielleicht wollen Sie aber jetzt gerade weniger versuchen, meine Frage zu beantworten, und stattdessen mir Zweifel zurückwerfen, darüber das die Auseinandersetzung mit GrenzgängerInnen Ihnen keinen Mehrwert für Ihre Arbeit, keine Lösungen für Ihre Herausforderungen bieten kann. Vielleicht denken Sie, Sie mögen zwar die einen oder anderen Entscheidungen treffen, die einen Grenzgang darstellen, aber das kann doch niemals mit den Grenzgängen von GrenzgängerInnen im Sport verglichen werden. Mag sein, dass die Aussagen von GrenzgängerInnen nicht eins zu eins auf die Wirtschaft umgelegt werden können. Doch gleichzeitig stehen wir alle, auch die Wirtschaft vor bzw. stecken schon mitten in einem Grenzgang – in der digitalen Revolution. Das mag für viele vielleicht nicht so extrem gesehen werden, aber gerade ExpertInnen der IT warnen und sprechen von dem Grenzgang bzw. vor den Herausforderungen der Digitalisierung. Und genau das bewegt mich dazu, mich intensiver mit Grenzgängen auseinanderzusetzen, und die Kompetenzen entsprechend den Herausforderungen neu zu justieren. Der Blick über den Tellerrand ist meines Erachtens nach hierfür wirklich erforderlich. GrenzgängerInnen sind oft umstritten, doch es gibt einiges, was diese beherrschen, was in der Wirtschaft bzw. im Management scheinbar noch nicht so relevant zu sein scheint – Embodiment. Embodiment bedeutet für mich leibhaftige Intelligenz: Wachsen können, Grenzen überschreiten, Grenzen achten und sich selbst begrenzen, um im richtigen Augenblick die Grenzen überschreiten zu können. Die über alle Fachbereiche hinweg geltende Kompetenz Embodiment besteht darin, sich auch im Unternehmensalltag der Körperintelligenz anzuvertrauen, Bewusstsein zu erlangen über das was im Körper, den Emotionen und im Außen in der Umwelt passiert. Das heißt konkret für das zukünftige Management: Mindful Leadership betreiben, einen Mindjump, einen Sprung über das bis dato im Management angewandte Wissen, und damit verbundene Instrumentarium zu wagen. Genau hier an diesem Punkt können uns GrenzgängerInnen hilfreiche Tipps geben. Es geht im Management nicht darum, Grenzgänge wie Messner und Co zu leisten, sondern vielmehr deren Wissen als Sprungbrett zu nutzen, um das Wirken der Wirtschaft und das Treiben der Digitalisierung anders zu sehen, und Grenzen von einer anderen Perspektive aus zu verstehen. An dieser Stelle möchte ich eine weitere Frage stellen: Wie oft wagen Sie, nur gedanklich, den Schritt hinaus aus Ihrer Komfortzone, aus Ihrem gewohnten Tun, aus Ihren Handlungsroutinen, überwinden Ihre persönlichen Grenzen? Es geht in Anlehnung an diese Frage jedoch nicht darum, dass Sie Grenzen unbedingt verschieben müssen, sondern vielmehr darum, die Grenzen Ihrer Tätigkeit, die Grenzen vom Unternehmen, die Grenzen Ihrer MitarbeiterInnen, die Grenzen der Umwelt wahrzunehmen, und den Grenzen ehrlich und respektvoll ins Auge zu sehen. Um die Grenzen wirklich zu verstehen, braucht es den Grenzgang – und genau das zeigen ExtremsportlerInnen in anschaulicher Weise. In der Wirtschaft ist das vielleicht nicht immer so klar und deutlich zu erkennen, aber durchaus ebenso relevant wie bei GrenzgängerInnen. Beim bewussten Grenzgang werden Sie merken, wo Ihr Energiemanagement liegt, wieviel Resilienz und Frusttoleranz vorhanden ist, wieviel Respekt Sie für Ihr Umfeld zeigen, sprich inwiefern Sie anderen gegenüber auch etwas Demut aufbringen können. Ich weiß, Demut ansprechen ist ein sehr umstrittener, heikler Punkt – bei jedem Menschen. Das braucht viel Verständnis und Respekt. Doch Demut ist für Menschen in verantwortungsvollen Positionen und Situationen eine äußerst wichtige Kompetenz. Zu wenig Demut hat manche GrenzgängerInnen das Leben gekostet. Deshalb spricht Messner davon, dass die Grenzen des Machbaren nur in sehr kleinen Schritten erreichbar sind, und je näher die Grenze kommt, umso kleiner müssen die Schritte sein.[5] GrenzgängerInnen haben einen großen Respekt vor ihren Zielen, trainieren deshalb umfassend und nicht bloß fachspezifisch, und sind damit in Stresssituationen äußerst flexibel und reagieren angemessen und nicht überhitzt.[6] Mäßigung ist hierbei ein ebenso wichtiger Faktor, wie die Überschreitung der Grenzen. Mäßigung ist dabei weniger ein moralischer Aspekt, als ein überlebenswichtiger Faktor. Mäßigung heißt, auf ein Maß zu achten, aber genau das ist deutlich schwieriger als man meinen könnte.[7] Grenzgänger sind umfassend darin geübt, das richtige Maß zu treffen, ansonsten würden sie ihre Grenzgänge nicht überleben. Ein Punkt, der mich berührt und zum Nachdenken bewegt: Inwiefern kennen wir tatsächlich die Grenzen und das Maß der Dinge? Nehmen Sie sich bitte bei dieser Frage Zeit, und versuchen Sie bei der Beantwortung dieser Frage wirklich ehrlich zu sein. Ich will mit dieser Frage niemanden zu nahetreten, das steht mir in keiner Weise zu. Ich will mit dieser Frage vielmehr dazu anregen, rational nachvollziehen zu können, dass seriöse Selbsterkenntnis für die unglaublichen Erfolge von GrenzgängerInnen ein wirklich wichtiger Grundstein ist. Gerade GrenzgängerInnen fordern fast täglich das Maß der Dinge heraus, aber genau deshalb wissen sie, wie lebensnotwendig das Wissen und Einhalten von Grenzen, vom richtigen Maß ist. Genau dieses Wissen führt Messner zu der Aussage: Kein vernünftiger Mensch tut das, was wir Grenzgänger tun.[8] Und ich möchte diese Aussage von Messner zum Anlass nehmen, eine abschließende Frage zu stellen: Versuchen Sie bitte nicht, meine letzte Frage als moralischen Zeigefinger aufzufassen, sondern einfach nur als Instrument zu nutzen, mehr Einsicht zu gewinnen. Es geht nicht um Schuld und Nicht-Schuld, es geht um Lernprozesse, die auf jeden Fall von Vorteil sind. Ihr Günther Wagner PS.: Vielen Dank für Ihr Interesse. Wenn Sie persönlich über zukünftige Beiträge informiert werden wollen, dann melden Sie sich einfach über diesen Link an. Literaturquellen: [1] Enzler, Gustavo; Schmidt, André, Vögele, Jens: Limits. Über Leben im Grenzbereich. 1/2018. Motor Presse Stuttgart GmbH & Co.KG. Stuttgart. reduce text
[2] Enzler, Gustavo; Schmidt, André, Vögele, Jens: Limits. Über Leben im Grenzbereich. 1/2018. Motor Presse Stuttgart GmbH & Co.KG. Stuttgart.
[3] Enzler, Gustavo; Schmidt, André, Vögele, Jens: Limits. Über Leben im Grenzbereich. 1/2018. Motor Presse Stuttgart GmbH & Co.KG. Stuttgart.
[4] Enzler, Gustavo; Schmidt, André, Vögele, Jens: Limits. Über Leben im Grenzbereich. 1/2018. Motor Presse Stuttgart GmbH & Co.KG. Stuttgart.
[5] Messner, Reinhold: Berge versetzen. Das Credo eines Grenzgängers. 6. Auflage. München: BLV Buchverlag GmbH & Co.KG. 2010. S.120.
[6] www.psychologie-heute.de/archiv/detailansicht/news/an_grenzen_gehen/. Am 2018-04-17 gelesen.
[7] www.psychologie-heute.de/das-heft/aktuelle-ausgabe/detailansicht/news/sich_selbst_begrenzeneine_grosse_und_seltene_kunst/. Am 2018-04-17 gelesen.
[8] Enzler, Gustavo; Schmidt, André, Vögele, Jens: Limits. Über Leben im Grenzbereich. 1/2018. Motor Presse Stuttgart GmbH & Co.KG. Stuttgart.