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PSYCHISCHE ROBUSTHEIT ALS FÜHRUNGSTOOL – INSBESONDERE BEI NIEDERLAGEN

PSYCHISCHE ROBUSTHEIT ALS FÜHRUNGSTOOL – INSBESONDERE BEI NIEDERLAGEN

Wie bleibt man im globalen Wettbewerb im Feld der Gewinner – trotz mancher Rückschläge?

Wie fördert man sein Team, um Bestleistungen zu erzielen?

Und wie unterstützt man sich als Führungskraft und das Team, um adäquat im Sinne einer positiven Fehlerkultur mit Niederlagen umzugehen?

Diese Fragen stellen sich vermutlich viele in der Wirtschaft. Diese Fragen stellen sich auch die Fußballclubs, die Trainer und Fußballmannschaften weltweit.

Vielleicht nehmen Sie jetzt an, dass ich Sie heute in die Erfolgsgeheimnisse der Fußballteams entführe. Indirekt werde ich das tun. Doch versuchen Sie nicht, sofort mit einer vorgefassten Meinung weiterzulesen.

Beginnen wir mit der Entscheidung von Bundestrainer Joachim Löw, den Torhüter Manuel Neuer für den erweiterten WM-Kader zu nominieren, obwohl dieser ein Dreivierteljahr verletzt war und nicht spielen konnte. Warum das Löw getan hat, kann ich schwer nachvollziehen. Doch was Löw und sein Team tut, um den unermesslichen Erwartungen, möglichen Niederlagen und dem Druck nach dem Ausscheiden in der Vorrunde Stand zu halten, das sehe ich als Diskussionsbasis für diesen Beitrag. Bei John Neumaier, legendärer Choreograf und Ballettdirektor, der mit 80ig Jahren seinen Vertrag in Hamburg um weitere 4 Jahre verlängert hat, finde ich hierzu diskussionswürdige Einsichten.

 

ATMOSPHÄRE ALS FÜHRUNGSINSTRUMENT

Um ein Team bestmöglich zu motivieren und die einzelnen Potentiale bestmöglich zu fördern, was nicht heißt, dass es dabei nur Erfolge gibt, braucht es nach Neumaier eine positive Atmosphäre.[1] Neumaier spricht von Gleichbehandlung, vom Mut zum Experimentieren und er spricht von Selbstentwicklung – alles relevante Aspekte für eine positive Atmosphäre. Löw spricht von psychischer Robustheit.[2] Ich sehe das eine im anderen wirken.

Im Wirtschaftskontext weiß man zwar auch vom erfolgsversprechenden Wirken einer positiven Atmosphäre und will das auch fördern, aber in der Umsetzung bleibt man an der Oberfläche hängen. Man versucht mit ein paar bautechnischen Maßnahmen, verbunden mit der Schaffung zeitlicher geistiger Freiräume und ungezwungeneren kommunikativen Richtlinien, eine gute Atmosphäre aufzubauen. Das mag bis zu einem bestimmten Grad so auch funktionieren. Es ist aber weit mehr als bloß die Bereitstellung inspirativer Räume, obgleich man das auch nicht unterschätzen sollte, was aber in diesem Beitrag nicht mein Thema ist.

Neumaier versteht unter guter Atmosphäre keine scheinbar familiäre Arbeitsstätte. Er versteht unter guter Atmosphäre, wenn alle Mitarbeitenden bewusst gesehen werden, wenn man als Führender spürt, wer, was, wie und warum macht. Eine gute Atmosphäre braucht eine Führungskraft, die mit dem Team leibhaftig jede Entscheidung mitträgt, mit dem Team mitfühlt und Fehler gemacht werden dürfen.[3] Das ist auch die Basis, auf der nach meinem Verständnis Löw auch sein Team führt – in guten wie in schlechten Zeiten.

Entscheidungen auf Augenhöhe

Neumaier spricht von einer guten Atmosphäre, wenn alle im Team jede Regelung und jede Entscheidung verstehen, und nicht bloß bejahen. Kurze Anmerkung: Sein Team bestand phasenweise aus 35 TänzerInnen. Neumaier fühlt mit seinem Team und weiß, dass Entscheidungen und Regelungen, von denen man unangenehm persönlich berührt ist, die Motivation, das Talent und Potential der Betroffenen in zukünftigen Prozessen lahmlegen. Wenn jedoch Entscheidungen für alle verständlich, auf Augenhöhe und Respekt für jede Leistung wie auch Niederlage, aufgearbeitet werden, kann sich das Team motivieren und gemeinsam Spitzenleistungen erbringen bzw. aus Fehlern lernen. So arbeitet auch Löw mit seinem Team. Beiden, Neumaier und Löw, ist Transparenz, die Kommunikation auf Augenhöhe, die Gleichbehandlung aller wichtig.

Gleichbehandlung

Es passiert schnell, dass man einige im Team anderen gegenüber bevorzugt. Aber das ist für Neumaier ein Punkt, wo man als Führender sehr achtsam sein sollte. Gleichbehandlung und Fairness ist nach Neumaier grundvoraussetzend, um Spitzenleistungen von Gruppen halten bzw. Höchstleistungen erreichen zu können. Er hat darüber hinaus auch die Erfahrung gemacht, dass übertriebenes Lob die Stimmung ebenfalls nicht fördert, sondern eher Misstrauen schürt. Es braucht viel Fingerspitzengefühl, um zur richtigen Zeit ein stimmiges Lob auszusprechen, und dabei auch nicht nur die „Lieblinge“ im Auge hat.

Gemeinsame Vision

Diese menschlich gesehen, positiven Attribute zur Förderung von Motivation und Potenzial können jedoch nicht voll zum Ausdruck kommen, wenn es an einer gemeinsamen Vision mangelt.

Für Neumaier und Löw ist die gemeinsame Vision mit dem Team das Entscheidende. Für Neumaier ist es von größter Bedeutung, dass wirklich alle Mitwirkenden verstehen, was sie tun, wie und warum sie es machen und davon beseelt sind. Neumaier kreiert seine Inszenierungen nicht alleine bzw. mit dem Theaterdirektor in einem Elfenturm, sondern erarbeitet sich die Vision gemeinsam mit seinem Team.

© Kiran West

© Kiran West

Das ist ein Prozess maximaler Offenheit. Das heißt für Neumaier, dass er sich als Chef nackt vor seiner Kompanie stellt. Das führt unweigerlich zur Aufregung. Aber genau diese damit verbundene Angst, und das dadurch wachgerüttelte Team lässt einen solchen Prozess so unglaublich bereichernd, tiefgründig, einzigartig, innovativ werden und führt zu Spitzenleistungen.[4] Neumaier kennt in diesem Prozess aber auch die Schatten.

Neumaier weiß, dass er immer wieder erneut versucht seinem Team etwas anzuschaffen und konkrete Ideen vorzugeben, weil er felsenfest von der Genialität seiner Ideen überzeugt ist – aber das ist eben ein Trugschluss. Zum einen mögen seine Ideen subjektiv vielleicht gut sein, aber könnten durch andere Betrachtungsweisen definitiv noch besser werden bzw. die ursprüngliche Idee bei weitem übertreffen – das weiß Neumaier und übt sich deshalb immer wieder aufs Neue in Demut. Die besten Choreografien entstehen nach Neumaier nicht singulär im eigenen Kopf, sondern im Probenprozess gemeinsam mit dem Team.[5]

Löw lässt seine Spieler ebenfalls selbst Varianten für Ecken und Freistöße ausdenken. Löw ermuntert seine Spieler wie Neumaier seine TänzerInnen, eigenständig zu handeln und an eigenen Spiel- bzw. Tanzvariationen zu experimentieren.[6] Das heißt nicht, dass dabei keine Fehler gemacht werden. Aber es gibt ein größeres Potential, aus den Fehlern in Folge zu lernen.

Das heißt für die Führenden jedoch auch nicht, dass man die Verantwortung ganz auf das Team abwälzt – im Gegenteil. Es braucht von Seiten der Führenden ein umfassendes Wissen, es braucht Strategien und Regeln, es braucht konkrete Ideen, Ziele, Visionen – aber dann kommt der entscheidende Schritt: Mit all dem Know-how und den schon aufkeimenden Bildern neuer Ziele und den damit zusammenhängenden Entscheidungen geht man in den Trainings- bzw. Arbeitsraum. Im Vorraum bzw. an der Garderobe platziert man all das Wissen und beginnt das Training sozusagen nackt, beginnt in Zusammenarbeit mit dem Team die Inszenierung gemeinsam ganz neu zu entwickeln.

Kontrolle abgeben ohne Verantwortungsbewusstsein zu verlieren

Nach Neumaier ist es erst mit diesem Schritt möglich, die eigenen vorgefassten Meinungen, Ziele, Wünsche in den Hintergrund zu schieben, und offen zu sein für all die Ideen, all das Wissen, welches im Team steckt. Das macht zwar Angst, so die konkrete Aussage von Neumaier, aber gleichzeitig erweckt es ungeahnte Potentiale.[7] Auf diese Weise zu arbeiten heißt, Kontrolle loslassen, vorgefasste Ideen und Ziele freigeben, sich selbst als Führender und Entscheider zurücknehmen und andere Einfälle als gleichwertig und ebenso wichtig anerkennen wie die eigenen.

Das braucht vertrauensvollen, auf Augenhöhe basierenden Austausch. Das heißt u.a. aber auch, Kritik als Chef annehmen können. Neumaier ist darin so geübt, dass sein Team Zweifel an ihm bzw. Kritik an manchen Entscheidungen von ihm oft gar nicht äußern muss, weil er es bereits an dem Benehmen der Gruppe oder einzelner der Gruppe spüren kann. Dann weiß er sofort, dass etwas im Prozess nicht stimmig ist und man gemeinsam genauer hinschauen sollte – solange bis man kooperativ eine Lösung gefunden hat.[8] In ähnlicher Weise agiert meinem Empfinden nach Löw mit seinem Team und seinen Visionen.[9]

  • Vielleicht stellen Sie sich spätestens jetzt die Frage, was das alles mit Ihrer Arbeit, mit der Führung von Ihrem Team zu tun hat?

Sie müssen keine WM gewinnen, Sie müssen keine Inszenierungen entwickeln, Sie sind Manager und müssen sehen, dass Sie für das Unternehmen und die StakeholderInnen Gewinne einfahren. Das stimmt. Doch eines eint Sie mit Löw und Neumaier – trotz der unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche und Ziele. Sie führen Teams. Sie, Löw und Neumaier haben hochgesteckte Ziele. Sie, Löw und Neumaier versuchen alles, um die Teams zu Bestleistungen zu führen. Unter Umständen müssen Sie sich, wie Löw und Neumaier auch, immer wieder eingestehen, dass Sie Fehlentscheidungen getroffen haben, es in Ihrem Team an Motivation mangelt oder manche der Entscheidungen am Team vorbei getroffen wurden.

Krisen im Sinne einer positiven Fehlerkultur verstehen

Neumaier hat im Laufe seiner Tätigkeit mit insgesamt rund 650 TänzerInnen gearbeitet. Er musste sich auf unterschiedliche TänzerInnengenerationen einstellen und ein Kollektiv formen. Oft war es hart, es gab zu wenig Zeit, einer im Team fällt aufgrund von Verletzung aus, das Stück war nicht optimal inszeniert, es gab Fehlentscheidungen …. [10] Es geht eben nicht immer nur bergauf und alles ist schön und rosig, sondern es gibt oft auch Durststrecken und längere Passagen im Tal, ohne einen weiteren Gipfelsturm erkennen zu können. Genau das gilt es im Team gemeinsam durchzustehen, über unerfüllte und frustrierte Erwartungen, über Fehler und Fehlentscheidungen zu sprechen und stimmige Lösungen zu finden. Ein relevanter Aspekt ist dabei Ehrlichkeit und Courage – sich und anderen gegenüber.

© Andrew Cioffi: John Neumaier bei Proben

© Andrew Cioffi

Nicht alle Krisen beginnen im Außen, durch Fehler anderer, bei MitarbeiterInnen, durch die Konkurrenz, … sondern in einem selbst. Für Neumaier ist es außerordentlich wichtig seine persönlichen Krisen, Fehlhaltungen und Fehlentscheidungen gut wahrzunehmen, weil er weiß, dass seine eigenen Krisen auf das Team überschwappen. Diesen Vorgang merkt man als Führender oft gar nicht und meint, das Team bzw. die Proben und Inszenierung stecken in einer Krise, dort haben sich Fehler eingeschlichen, obwohl man es eigentlich selbst war, der eine Krise ausgelöst hat.[11] Da braucht es viel Reflexion und Achtsamkeit, Selbsterkenntnis im umfassenden Sinn. An dem Punkt ist es hilfreich, sich die Frage zu stellen, ob das was man sieht, wirklich nur die anderen betrifft, oder eigentlich etwas mit einem selbst zu tun hat?

Löw spricht sehr deutlich von der Notwendigkeit einer psychischen Robustheit, die meiner Erfahrung nach mit Hilfe von Mindfulness und der Auseinandersetzung mit Ängsten bestmöglich gestärkt werden kann – insbesondere in Zeiten der Niederlage, um nicht im Morast an Schuldzuweisungen, in Schamgefühlen oder auch in der Gegenrichtung, der Überheblichkeit hängen zu bleiben. Mag sein, dass viele Führungskräfte meinen, sie wären psychisch stabil und robust. Doch ich wage dem zu widersprechen. Meiner Erfahrung nach trügt hier gerne der Schein. Man mag sich robust fühlen, aber bei etwas genauerer Betrachtung ist dieses Gerüst an Stabilität weniger stabil als man angenommen hat.

Neumaier und Löw wissen das, deshalb ist für beide Selbstentwicklung und Selbsterkenntnis ein äußerst wichtiger Punkt in ihrem Job. Löw gibt dabei offen zu, dass dieser Prozess der Selbstentwicklung anstrengend ist, aber viel an Erkenntnis bringt für sich und für das Arbeiten mit seinem Team. Erfolg ist dabei nicht immer nur nützlich. Erfolg löst andere Empfindungen aus als das Scheitern. Zielführende Einsichten kann man aus dem Scheitern lernen, weil uns Scheitern auf ein menschliches Maß zurückwirft.[12]

 

RESÜMEE

Neumaier und Löw wissen, dass man sich als Führender bewusst machen sollte, dass man nicht nur der Führende, sondern ebenso ein Teil vom Team ist, im Stande sein sollte persönliche Eitelkeiten achtsam zu durchschauen, und zusammen mit dem Team gewinnt und verliert.[13]

Diese Art der Führung ist das, was eigentlich auch die Eckpfeiler von New Work sind – die propagierte Arbeitsweise im 21 Jhdt., die augenscheinlich notwendig ist, um im globalen Wettbewerb und mit der rasant ansteigenden Komplexität mithalten zu können. New Work steht für: Offenheit, Transparenz, Gleichbehandlung, das Arbeiten in flachen Hierarchien, Potenzialentfaltung im umfassenden Sinn, das Wirken einer positiven Fehlerkultur, Kollaboration und Sinnökonomie.

Bevor ich diesen Beitrag beende, möchte ich Ihnen heute auch noch kurz anführen, warum ich diesen Beitrag geschrieben habe. Ich muss zugeben, dass mich das Interview und die Ausstrahlung von John Neumaier innerlich berührt. Mag sein, dass Sie das gar nicht empfinden. Wie dem auch sei, die Ansätze von Neumaier, Teams zu führen bzw. sich als Führender eines Teams erfolgsversprechend zu etablieren, finde ich zumindest diskussionswürdig. Über die Niederlage der Deutschen Fußballnationalmannschaft möchte ich mich nicht äußern, und nur so viel sagen: Versuchen wir der gewohnten negativen Fehlerbeurteilung zu widerstehen, und im Sinne einer positiven Fehlerkultur das Ereignis der Deutschen Fußballnationalmannschaft zu verstehen.

Ihr Günther Wagner

 

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Literaturquellen:

[1] https://www.youtube.com/watch?v=o8N8M3JTUD8. Am 2018-06-27 gesehen.
[2] https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/04/john-neumeier-fussball-choreograph-ballett-motivation-team-superstars. Am 2018-06-27 gelesen.
[3] https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/04/john-neumeier-fussball-choreograph-ballett-motivation-team-superstars. Am 2018-06-27 gelesen.
[4] https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/04/john-neumeier-fussball-choreograph-ballett-motivation-team-superstars. Am 2018-06-27 gelesen.
[5] https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/04/john-neumeier-fussball-choreograph-ballett-motivation-team-superstars. Am 2018-06-27 gelesen.
[6] https://www.capital.de/wirtschaft-politik/dfb-teampsychologe-sieht-loew-als-vorbild-fuer-manager. Am 2018-06-27 gelesen.
[7] https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/04/john-neumeier-fussball-choreograph-ballett-motivation-team-superstars. Am 2018-06-27 gelesen.
[8] https://www.welt.de/wirtschaft/article166401745/Das-kann-jeder-Chef-von-Jogi-Loew-lernen.html. Am 2018-06-27 gelesen.
[9] https://www.welt.de/wirtschaft/article166401745/Das-kann-jeder-Chef-von-Jogi-Loew-lernen.html. Am 2018-06-27 gelesen.
[10] https://www.welt.de/wirtschaft/article166401745/Das-kann-jeder-Chef-von-Jogi-Loew-lernen.html. Am 2018-06-27 gelesen.
[11] https://www.welt.de/wirtschaft/article166401745/Das-kann-jeder-Chef-von-Jogi-Loew-lernen.html. Am 2018-06-27 gelesen.
[12] Messner, Reinhold: Berge versetzen. Das Credo eines Grenzgängers. 6. Auflage. München: BLV Buchverlag GmbH & Co.KG. 2010. S.40 u.50.
[13] https://www.welt.de/wirtschaft/article166401745/Das-kann-jeder-Chef-von-Jogi-Loew-lernen.html. Am 2018-06-27 gelesen.