
SCIENCE FICTION BECOMES SCIENCE FACT
Bevor ich, wie viele andere auch, in den Urlaub gehe, möchte ich ein Resümee über mein Wirken und die Resonanz auf mein Wirken als Berater und Influencer für das 1. Halbjahr 2019 geben, und einen lockeren Vorausblick machen, womit ich mich ab Herbst konkreter beschäftigen möchte.
DIE 3 HERAUSSTECHENDEN THEMENKOMPLEXEN AUS DEM 1. HALBJAHR 2019
1. Der bestlaufende Artikel mit über 78.000 LeserInnen war: Sind agile Prinzipien zum Scheitern verurteilt
Die in diesem Artikel angesprochenen Aussagen und Annahmen sind kritisch, haben aber überraschenderweise nicht abgeschreckt, entsprechend gelesen zu werden. Das erstaunt mich deshalb, weil ich immer deutlicher die Erfahrung mache, dass negative Aussagen verständlicherweise eher abstoßen, unattraktiv sind für eine Zeit, die sich selbst als vielversprechend, alles ist möglich, man muss nur die Chancen sehen und nutzen, … gehypt wird.
Dennoch versuche ich trotz Kritik und Angriffe immer wieder aufs Neue, nicht nur die euphorischen Chancen, sondern auch die möglichen Stürze bzw. ungeliebten Risiken ansprechen. Das tue ich, weil ich persönlich in einer komplexen Zeit auch die komplexen Risiken durchschauen will, um im Falle des Falles entsprechend vorbereitet zu sein – das sehe ich als meine Verantwortung als Berater und Influencer. Das ist eigentlich ein Selbstverständnis, werden Sie jetzt denken. So agieren doch alle, die Verantwortung tragen. Das mag von der Intension her so stimmen, aber die Praxis sieht zu oft anders aus – was sehr deutlich und mit großer Sorge bei einem Meeting in München mit einem der weltweit führenden IT-Köpfe eines DAX 30 Unternehmens, dessen Name ich jedoch anonym zu halten versprochen habe, als großes Bedenken im Raum stand.
Gerd Leonard, Futurist, CEO The Futures Agency, sprich deutlich davon: science fiction becomes science fact.[1] Ob man will oder nicht, das hat Folgen für alle – auch wenn man die Folgen aktuell noch nicht zu spüren bekommt. Aber genau das ist das Fatale. Die meisten Folgen bekommt man erst zu spät zu spüren, dann wenn man eigentlich nur noch reaktiv, aus der Not heraus handeln kann. Damit vergibt man sich jedoch die Chance, vorzeitig aktiv die Situation in eine gute Richtung zu führen, mit Folgen, die auf das Gesamte bezogen, besser verträglich gewesen wären.
Der umfassende Einbezug der Risiken verstört jedoch die Euphorie und die mit der Digitalisierung verbundenen kurzfristigen Erfolge. Mag sein, dass auf bestimmten Ebenen sogar bewusst das Wissen über die Risiken ferngehalten wird? Sei es so, oder auch nicht. Fakt ist, dass man Risiken gerne aus dem Weg geht. So tut, als ob es die Risiken nicht geben würde bzw. die Risiken nur überzeichnet werden. Mir persönlich geht es nicht anders. Ich möchte auch viel lieber nur auf der Welle des Hypes der Digitalisierung dahingleiten und die vielfältigen Möglichkeiten nutzen – u.a. auch, damit ich im Wettbewerb mit den anderen mithalten kann.
Wenn ich hingegen die enthusiastische Welle mit düsteren Bildern verdunkle, dann ist das aufs Erste gar nicht das, was antreibt und wettbewerbsfähig hält. Verständlicherweise übergeht man dann die Risiken, oder beruhigt sich dahingehend, dass man die Problempunkte bei passender Gelegenheit in Angriff nimmt. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt dafür? Am Beginn der Prozesse meist nicht, an der Stelle ist man zu motiviert und zu sehr überzeugt, dass alles machbar ist. Während des Prozesses, auch kein so guter Zeitpunkt, da ist man so sehr damit beschäftigt, den Prozess bestmöglich zu implementieren und aufkommende Hindernisse so schnell wie möglich glatt zu bügeln. Zum Ende hin, das ist reichlich spät. Abgesehen davon zeigt sich in vielen Fällen, dass die Prozesse in der Anfangsphase relativ gut anlaufen, warum sollte man sich dann überhaupt über Risiken Gedanken machen, die möglicherweise nie eintreffen, vielleicht sogar den Prozess negativ belasten.
Diese Sichtweise und entsprechende Prozessoptimierung kann ich gut nachvollziehen, denn gerade im Fall der Digitalisierung und auch der Umweltproblematik sind die möglichen Risiken noch nicht wirklich greifbar, nicht wirklich real. Aber genau das ist der Haken der Digitalisierung und auch der Umweltproblematik. Keiner kann wirklich sagen, wie die Digitalisierung tatsächlich das Leben und Arbeiten, die Zukunft der Unternehmen umfassend beeinflusst. Keiner weiß, ob die Klimaerwärmung wirklich so heftig ist, und was das für die Unternehmen bedeuten könnte. Aber eines ist gewiss: Quantencomputer, Künstliche Intelligenz (KI) und Klimaveränderungen, durch wen auch immer ausgelöst, werden das Leben und damit auch das Wirken der Unternehmen in vielfältigster Weise herausfordern.
Möglicherweise sind sich sogar mehr Führungskräfte dessen bewusst als darüber offen diskutiert wird, darunter eben hochkarätige Spitzenleute, wie u.a. einer der weltweit führenden IT-Köpfe eines DAX 30 Unternehmens in einem Gespräch München.
Risikoprävention wäre eigentlich eine Maßnahme, die in einem umfassenden Digitalisierungsprozess von Beginn an ernsthaft begleitend mitlaufen sollte. Aber das versucht man zu umgehen. Das sieht man vermehrt als noch nicht wirklich nötig an. Im Gegenteil, es scheint eher kontraproduktiv, ressourcenfressend, Komplexität erhöhend und wird damit fürs Erste gestrichen – womit einige auch Recht haben. Prävention mag Zusatzarbeit machen und kostet Geld. Damit wirkt sie dem schnellen Fortschritt der Digitalisierung diametral entgegen, löst sogar die Sorge aus, mit zu viel Sicherheits- und Reflexionsschleifen den Anschluss zu verpassen. Und wer weiß, vielleicht sind die Sorgen und Befürchtungen ohnehin nur aufgebläht, und bloß von DigitalisierungsgegnerInnen als Aufmerksamkeitshascherei medial inszeniert.
Nichtsdestotrotz muss man mehr Aufmerksamkeit in die Digitalisierungsprozesse stecken, weil der Druck stetig ansteigt und die gehypten Strategien doch nicht wie geplant wirken, agile Methoden scheitern. In diesem Zusammenhang findet sich für mich ein spannender roter Faden zu einem anderen Artikel, der in Bezug auf die Anzahl der Leser*innen eher durchschnittlich war, aber im Verhältnis dazu außerordentlich viele Reaktion ausgelöst hat – nämlich der Artikel:
2. Was wäre, wenn Manager streiken
Dieser Artikel war sicher eine gedankliche Gradwanderung, führte zu Missverständnissen, aber auch zu spannenden Reflexionen.
Streik scheint eigentlich nur dann angesagt zu sein, wenn die Situation prekär oder gefährlich ist. Dahingehend ist es provokant bzw. scheint die Fragestellung fehlgeleitet zu sein, vom Streik der Manager zu sprechen, deren Situation weder prekär noch gefährlich scheint. Aber stimmt diese Mutmaßung wirklich?
Wenn man den global vernetzten, höchstkomplexen, unfassbar schnellen Verdrängungswettbewerb betrachtet, die Digitalisierung mit den damit verbundenen Herausforderungen und unglaublichen Veränderungen, kann man die Situation der Manager meiner Auffassung nach sehr wohl als gefährlich einstufen. Der Druck ist immens, die damit verbundenen Anforderungen überschreiten das, was die Führungskräfte eigentlich zu managen fähig sind, das kann man nicht schönreden. In dem Meeting in München zeigt sich diese Problematik unausweichlich deutlich: Jasagen, obwohl es eigentlich nötig wäre Nein zu sagen, und sich nicht im Rausch der Digitalisierung zu verlieren. Doch was hindert daran?
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Was bzw. warum verhalten sich Manger so linientreu, tragen Entscheidungen mit, die möglicherweise alles andere als sinnvoll und verantwortungsvoll sind, versuchen es trotz besseren Wissens sowohl nach unten wie nach ganz oben allen Recht zu machen?
Im Umkehrschluss eine relevante Anschlussfrage:
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Was müssten Manager wagen, wenn sie streiken, wenn sie Nein sagen zu bestimmten Prozessen und Strategien, und sich gemeinsam mit anderen Managern, beispielsweise wie Schüler*innen weltweit für den Klimaschutz formieren, für die Entwicklung einer neuen Wirtschaftskultur einsetzen?
Ich weiß, diese 2. Frage ist für manche ein Affront, eine Anmaßung, naiv und vollkommen daneben. Mag sein, aber dennoch wage ich eine solche Frage. Es geht mir nicht darum, das Wirtschaftssystem aufzulösen, weil alles schlecht ist. Nein, das ist es nicht. Ich möchte jedoch anregen, auch neue Formen des Zusammenwirkens anzudenken, auch auf den oberen Ebenen. Die Agilität fordert es ohnehin. Doch genau das fällt unglaublich schwer – den gewohnten Rahmen verlassen und sich neu positionieren. Dahingehend passt eine weitere Beobachtung zu Reaktionen auf Artikeln von mir aus dem 1. Halbjahr 2019.
3. Der Artikel, Schockprognosen fordern die deutsche Wirtschaft heraus, hat im Vergleich zu den vielen anderen Artikeln herausstechend emotionsgeladene Kommentare ausgelöst
Das Klimaproblem und die damit verbundenen möglichen Folgen, die auch die Unternehmen treffen könnten, vergraulen – verständlicherweise. Mit Umweltthemen steht man als Unternehmen vor einem wirklich großen Dilemma:
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Zum einen will man vielleicht wirklich was tun, anders agieren,
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sieht aber die Konkurrenz, die noch nicht daran denkt, Umweltmaßnahmen als Unternehmenswerte zu integrieren, damit jedoch kostengünstiger, schneller produzieren kann als jene, die wirklich ernsthaft bemüht Umweltaspekte in die Unternehmensleitziele einzubeziehen suchen.
Würden alle Unternehmen der Welt gemeinsam die Umweltverträglichkeit als relevanten Unternehmensleitsatz integrieren, dann wäre vielleicht genug Motivation vorhanden, so dass sich mehr Unternehmen neu ausrichten bzw. die Risiken einer zu wenig betrachteten Umweltwirksamkeit anders bewerten. In ähnlicher Weise verhält es sich mit der Digitalisierung.
Solange nur einzelne den Sprung wagen, es wirklich anders zu machen, die Risiken bewusst und verantwortungsvoll im umfassenden Sinn und nicht bloß als Schein für ein gutes Image in die Welt tragen, wird das zwar als vorbildhaft gelobt, aber eine große Trendwende nicht umgesetzt. Solange sich die Masse weiterhin umwelt- und ressourcenfressend, oberflächlich vom Digitalisierungshype berauscht verhält, gesellschaftlich wie unternehmerisch, werden es nur einzelne wagen, den Mainstream zu verlassen und das Vorgehen kritisch hinterfragen.
Aus dem vertrauten Mainstream, aus dem, wie die Masse in ähnlicher Weise versucht ein Problem zu lösen bzw. auch ignoriert, auszusteigen, ist jedoch ein außerordentlich mutiger Schritt.
Der Erfolg mag nicht gleich zu sehen sein, aber langfristig vielleicht dazu führen, ein geachteter Leader zu werden. Doch das weiß man am Anfang vom Sprung in neue Sphären nicht. Man muss in unbekanntes Wasser springen, den vertrauten Mainstream verlassen, in eine Vision vertrauen, die den Rahmen der bisher vorstellbaren Visionen überschreitet. Man verliert u.U. Rückendeckung von jenen, die dem Mainstream vertrauen. Man muss die Kraft aufbauen, sich gegenüber dem Mainstream mental, emotional und rational behaupten, ein ebensolches couragiertes Team für sich gewinnen und gemeinsam an einer Lösung arbeiten und widersprüchliche Ansichten, Befürchtungen, Kritiken als Sprungbrett für bahnbrechende Innovation nutzen – darin war u.a. Steve Jobs ein Meister.
Bei einem Workshop beim VDI in Stuttgart setzte ich ganz bewusst in Bezug auf das Scheitern agiler Prinzipien eine widersprüchliche Frage in den Raum:
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Welche persönlichen Gewinne können Führungskräfte in einem agil geführten Unternehmen erzielen,
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wenn gleichzeitig die eigene Position damit in Frage gestellt wird?
Diese in sich widersprüchliche Frage löst vor allem eines aus: Konkreter als bisher hinzusehen. Elon Musk kann mit Widersprüchlichkeiten umgehen, gibt beispielsweise seine Lizenzen frei und möchte E-Autos nur noch solange verkaufen bis es bessere Mobilitätskonzepte gibt. Musk ist überzeugt, in Zukunft fährt das Roboter-Taxi.[2] Er fordert damit viel von seinen MitarbeiterInnen und auch Zulieferern, die so gesehen eigentlich einer unsicheren Zukunft entgegenblicken. Gleichzeitig gibt er den Blick rechtzeitig frei für neue Wege.
Vielleicht ist es genau diese Ehrlichkeit in Bezug auf die Herausforderungen und Widersprüchlichkeiten von Musk und seinen Gedanken über die Zukunft, so dass sich die Mitarbeiter*innen und Zulieferer nicht abschrecken lassen, sondern sich vielleicht selbst auch kritischer, bewusster, flexibler, wendiger mit der Arbeit und der Zukunft auseinandersetzen. Musk ist sicher keine einfache Persönlichkeit und verlangt viel von seinen Teams. Aber er hat eine große Vision und den Mut, Herausforderungen und Risiken offen anzusprechen. Er spielt vielleicht auch ein bisschen den Helden, den Retter, was manche gleich nutzen, um seine Gedanken und Visionen schlechtzureden.
Wie dem auch sei. Wir kommen immer wieder an den Punkt, so oder so, dass die Digitalisierung, aber auch die Umweltproblematik die Arbeits- und Lebensweise triggert. Und keiner kann wirklich konkret voraussagen, was uns alles tatsächlich noch bevorsteht – es ist vermutlich mehr als viele bewusst andenken möchten. Genau das wurde auch im Meeting in München kritisiert, der kurzsichtige Blick von Seiten der Wirtschaft, aber auch von Seiten der Politik und Gesellschaft. In zahlreichen Artikeln von mir weise ich immer wieder aufs Neue auf die Risiken hin. Dem gegenüber fallen Anmerkungen, man möge doch endlich weniger Kritik üben, sprich über die Risiken schreiben, stattdessen Lösungen aufweisen.
Diese Aussage kann ich nur bejahen. Aber bevor entsprechende Lösungen gefunden werden können, bedarf es einer echten, tiefgreifenden bewussten Entscheidung, die Risiken der Digitalisierung wie auch der Umweltproblematik nicht mehr länger zu verharmlosen und kleinzureden, sondern wirklich als ernsthafte mögliche Bedrohung anzuerkennen. Solange die Risiken nicht umfassend geachtet werden, ist es sinnlos von Lösungen zu sprechen, weil die Lösungsansätze mehr verlangen als nur ein halbherziges Ja. Die Lösungen verlangen ein couragiertes Nein zu dem, wie man es bisher als wirksam und richtig gesehen hat. Das heißt nicht, dass nun alles falsch ist, was man tut, auf keinen Fall. Einiges war und ist noch immer sinnvoll und wichtig, aber es gibt genug Punkte, die dem Prozess der Transformation, digital und umwelttechnisch, hemmend im Weg stehen.
Solange nicht genug Manager den Mut aufbringen können, zu bestimmten Strategien und Vorgehensweisen Nein zu sagen, gemeinsam in einen Streik zu gehen, werden die Lösungen im Raum verpuffen. Ich weiß, diese Aussage von mir mag einige verärgern. Einige werden mich dafür kritisieren oder als naiven Utopisten aburteilen. Mir ist das bewusst. Im Gespräch in München wurde jedoch deutlich auf den Tisch gelegt, dass es, ob man will oder nicht, mehr braucht als kleine Insellösungen. Das bestärkt mich, weil dieses Gespräch mit unzählig anderen vertraulichen Gesprächen mir doch zeigt, dass das Bewusstsein für die Risiken steigt, man fast ohnmächtig dem gegenübersteht und eigentlich nicht weiß, wie geht man das an. Auf den ersten Blick scheinen die notwendigen Veränderungen derart groß und eigentlich undurchführbar. Aber deshalb weiterhin so tun, als ob man es mit dem adaptierten Instrumentarium hinbekommt, ist mir zu wenig.
Es gibt Lösungen, wenn durch ein gestärktes Nein, so geht es nicht mehr weiter, Freiräume für wirklich neue Wege und Gedanken geschaffen worden sind. Das heißt nicht, dass es jetzt noch keine Lösungen gäbe. Aber diese Lösungen können nur mit einem Nein zu dem, wie es aktuell läuft, ohne sofortige Abwehr offen diskutiert werden. Solange aber der Mut zum Nein fehlt, werden die Lösungen falsch verstanden werden.
Wirklich spannend könnte es werden, wenn in einem Dax-Unternehmen geschlossen mehrere Managementebenen Nein sagen, so geht es nicht mehr weiter, wir versuchen jetzt wirklich einen Prozessmusterwechsel. Das wäre wahrlich ein Sprung – ein Quantensprung. Die Quantencomputer werden bald zum Einsatz kommen, mit Herausforderungen, die ebenfalls mehr verlangen als bloß ein paar technische Anpassungen – auch wenn von bestimmten Seiten es deutlich einfacher dargestellt werden mag. Warum nicht auch einen Quantensprung im Management wagen?
Worauf ich hinaus will, die Lösungen gibt es, aber dafür braucht es Courage, Vertrauen, ernsthafte Auseinandersetzung mit den Risiken, Quer- und VorausdenkerInnen, vielmehr Verbundenheit auf allen Ebenen, auch mit der Konkurrenz, und erneut Mut, viel Mut, es zu wagen, sich wirklich neu zu positionieren. Dafür muss man an bestimmten Stellen Nein sagen, am besten vereint mit anderen, u.U. muss man ein Nein zu jenen richten, die ganz oben stehen.
Das wirklich so zuzulassen, ist aber tatsächlich ein äußerst herber Brocken. Das würde bedeuten, wenn man als Führungskraft beispielsweise agile Prozesse ernsthaft aufsetzt, dann entzieht man sich selbst im Laufe dieses Prozesses Macht, Einfluss, Anerkennung. So gesehen ist es als Führungskraft eigentlich auf den ersten Blick schwer möglich, ehrlich agiles Arbeiten im Unternehmen zu implementieren. Das ist fast so, als ob man das Nein zu sich selbst richtet.
Das ist die große Herausforderung der Digitalisierung wie auch der Umweltproblematik, man muss sich selbst als Führungskraft ganz neu positionieren, erleidet damit fürs Erste sogar Verluste, muss verzichten, loslassen, eine neue Identität mit neuen Anerkennungssymbolen aufbauen. An dem Punkt ist es heiß, sehr heiß. Hält man die Unsicherheit aus, sagt tatsächlich Nein, so nicht mehr, oder fühlt man sich für das Nein zu schwach, und bleibt lieber bei dem, was man bisher als erfolgsversprechend gehalten hat.
Das Nein löst Ängste aus, dem wird man sich stellen müssen. Das ist ein Quantensprung, und deshalb so schwer. Also bleibt man doch besser beim Ja, ich versuche so weiter zu machen wie bisher, irgendwie wird es schon gehen, es wird vielleicht ohnehin nicht so schlimm werden, wie manche schreiben … Doch genau diese Strategie kann das Fass zum Kippen bringen. Die Digitalisierung, wie auch die Umweltproblematik, machen Druck. Druck, der noch mehr steigen wird, man muss nur einen kurzen Blick auf die Nachrichten und News werfen. Die technischen Veränderungen steigen exorbitant an. Damit steigen die Anforderungen, insbesondere widersprüchliche Anforderungen prasseln täglich in steigender Komplexität auf die Managements herab, die Ja sagen, wir schaffen es, und mit unzureichendem Managementwerkzeug die Digitalisierung in den Griff zu bekommen versuchen. Ein Nein-Sagen aber verunsichert aktuell noch mehr.
Ich weiß, ich fordere Sie heute außerordentlich heraus. Ich tue es nicht, weil ich Ihre Arbeit nicht gut finde, oder Ihre Einstellung verurteile. Ich möchte ehrlich sein, ich sage es, weil ich wirklich Zweifel habe, dass die Art und Weise, wie die Wirtschaft, aber auch die Politik und Gesellschaft, ebenso die Wissenschaft agiert, so in nächsten Jahren weitermachen kann ohne tiefgreifend Probleme zu bekommen. Das ist auch der Grund, warum das Meeting in München stattgefunden hat – die große Sorge und der Zweifel an der eigenen Zunft.
Es geht mir in keiner Weise darum, das Managementwissen bzw. das Verhalten der Führungskräfte schlechtzureden. Es geht mir vielmehr darum, die Situation, in der viele Führungskräfte stecken realistisch einzuschätzen, die Risiken nicht zu verharmlosen bzw. zu ignorieren, sondern als Sprungbrett zu nutzen, für couragierte innovative Ideen und verantwortungsvolle Zukunftsvisionen –ein kollektives Nein auf Managementebene, so geht es nicht mehr weiter, zu wagen.
Nach Dr. Berthold Schröder, Abteilungsdirektor, Arbeits- und Versicherungsmediziner bei der Allianz, ist es sogar dringlich notwendig, endlich ein Nein zu wagen, damit Führungskräfte nicht im Überlebenskampf ausbrennen – aus dem manche nur noch eine Lösung sehen: Suizid. Manger-Suizid ist kein Einzelfall mehr.[3] Darüber in einem Wirtschaftsblog zu schreiben, ist für manche jedoch eine Grenzüberschreitung. Das mag sein, doch ich will damit vielmehr aufzeigen, dass der Druck der Führungskräfte ebenfalls Grenzen überschreitet. Man mag sich vielleicht noch zu den Gewinner*innen zählen, aber wie lange noch, und wie hoch ist der Preis, den man dafür zahlt? Nicht ohne Grund hat mir Dr. Schröder entsprechende Literaturquellen geliefert. Er sieht die Lage besorgniserregend.
Dabei kann agiles Arbeiten genau das Gegenteil fördern, ein gesundheitsförderliches Zusammenarbeiten ermöglichen, den Druck in gesunder Weise managen, wenn die Führungskräfte es wagen, sich neu zu positionieren. Mag aber auch sein, dass genau dieser Schritt, sich selbst in der Rolle der Führungskraft neu zu positionieren, für manche so heftig ist, dass gerade das dazu führt, vollkommen überfordert zu sein. Das ist meine Vermutung, warum agile Prinzipien u.a. scheitern bzw. von den Führungskräften nur halbherzig umgesetzt werden. Dabei übersehen diese, dass in einer halbherzigen agilen Arbeitsweise der Druck auf sie selbst das Maß des Erträglichen erst recht übersteigen wird.
Mag sein, dass manche von Ihnen jetzt das Handtuch werfen und sagen, das geht mir alles zu weit. Ich möchte das nicht mehr lesen. Ich sehe es nicht so schlimm, die Risiken werden von Günther Wagner überzeichnet. Das mag von einem bestimmten Standpunkt aus durchaus stimmen. Ich reflektiere sicherlich auf einer Meta-Ebene, die für viele zu weit reicht. Doch ich bin nicht der einzige, der warnt. Im Gegenteil, immer mehr Warnungen ploppen auf. Aber der ausdrücklichste Grund, sich zumindest gedanklich ein Nein, so nicht mehr, vorzustellen, ist die Tatsache, dass die technischen Veränderungen derart schnell laufen, und man, ob man will oder nicht, die Herausforderungen in anderer Weise managen muss, um nicht von der Digitalisierung überrannt zu werden.
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Doch wie könnte diese andere, neue Führungsweise aussehen?
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Wie schafft man es, ein Nein, so wie bisher nicht mehr, zu wagen?
All jene, die meine Artikel kennen, werden den einen oder anderen Ansatzpunkt hin zu einem neuen Verständnis als Lösungsansatz vielleicht schon verstehen. Aber ich möchte mich in meiner Sommerpause in neuer Weise dieser Frage weitaus intensiver und konkreter widmen. Das Nein steht dabei für mich nicht für ein Muss, sprich, es geht nur mit einem Nein, sondern ich sehe das Nein mehr als Türöffner, um einmal gedanklich es durchzuspielen, was sein könnte, wenn man ein Nein wagt, wenn Führungskräfte branchenübergreifend geeint und weniger als Konkurrenz versuchen, große Visionen in einer ganz neuen Dimension anzudenken.
Ich weiß, das ist eigentlich kein neuer Gedanke, interdisziplinär arbeiten und forschen ist eine gängige Praxis. Gleichzeitig aber zeigt sich, dass der siloübergreifende Arbeitsansatz nicht gut funktioniert – im Gegenteil, ganz zu schweigen davon, Unternehmen zueinander nicht als Konkurrenz zu sehen, die nach Profitmaximierung streben, sondern gemeinsam große Visionen umzusetzen statt Energie dafür aufzubrauchen, wer ist schneller, effizienter, überrollt den Markt, versucht Kund*innen mit allen Mitteln an sich zu binden, und streift die Gewinne ein. Das heißt in Folge jedoch auch, den Gewinn anders aufzuteilen – und das ist sicher noch ein weiterer äußerst heißer Punkt. Das weiß ich.
Das mag für manche jetzt unglaublich anmaßend klingen. Ich unterstelle Führungskräften ein Nein, damit diese Veränderungen in einer Weise bewegt bekommen, die scheinbar für das Gemeinwohl erträglicher werden. Damit treffe ich ziemlich sicher den Nerv mancher Unternehmen wie auch Führungskräfte, die gar nicht daran denken wollen, ihre Wirtschaftspolitik und entsprechende Vorgehensweise zu ändern. Wenn Profitmaximierung und „The winner takes it all“ höchste Priorität hat, dann mag mein Gedankenspiel sicherlich anmaßend sein. Dem kann ich gar nicht widersprechen.
Aber ich glaube zutiefst daran, dass Unternehmen und Führungskräfte ernsthaft neue Lösungen suchen, aber nicht wissen, wie man es schafft, ein Riesencontainerschiff auf ganz neuen Kurs zu bringen, das gesamte Schiff mit Mannschaft inkl. Waren während der Fahrt in etwas Neues zu verwandeln, so dass am Zielhafen, der sich möglicherweise auch ändert, kein Schiff mehr anlegt mit bestimmten Waren, sondern …
Anmaßend daran wäre, wenn ich mir allein Gedanken mache. Aber das möchte ich ohnehin nicht – im Gegenteil, ich giere danach mich intensiv mit anderen Menschen über die Herausforderungen zu diskutieren, u.a. mit Anders Indset im Oktober 2019 in Salzburg, wie auch mit anderen großen DenkerInnen, und ebenso den stillen, oft nur im Hintergrund wirkenden Größen, die jedoch vom Wissen und den Lösungsansätzen den medial Versierten um nichts hintenanstehen. Ich möchte sehr bewusst Zeit investieren, um mich breitgefächert auszutauschen, mich verbindlich zu vernetzen, gemeinsam in vielen Gesprächen Lösungen durchzudenken, die groß sein dürfen, aber in kleinen verträglichen Schritten ansetzen müssen und sogar messbar fähig sein sollten – ein utopischer Ansatz, aber ein Schritt mehr hin zu einem Quantensprung in der Wirtschaft.
Quantencomputer konstruieren Menschen, also warum nicht auch eine Quantenwirtschaft andenken – nach Anders Indset, einer der global führenden Wirtschaftsphilosophen, Keynote-Speaker, Gastlektor an führenden internationalen Business-Schools, vertrauter Sparring-Partner für CEOs und PolitikerInnen, ohnehin der Weg der Zukunft.
Ihr Günther Wagner
PS: Um meine zukünftigen Beiträge zu lesen, können Sie mir auch auf LinkedIn, Xing und Twitter folgen. Darüber hinaus finden Sie in der Gruppe „Leadership Café …“ neben meinen Beiträgen ebenso Beiträge anderer HR Influencer.
Literaturquellen:
[1] https://www.linkedin.com/feed/update/urn:li:activity:6505041452635078656/. Am 2019-02-26 gesehen.
[2] https://futurezone.at/digital-life/musk-tesla-wird-in-naher-zukunft-keine-e-autos-mehr-verkaufen/400545326. Am 2019-07-25 gelesen.
[2] https://www.20min.ch/finance/news/story/Manager-Suizid-ist-kein-Einzelfall-22333196. Am 2019-07-25 gelesen.