Die Stolpersteine in Changeprozessen
Laut einer Studie der Boston Consulting Group BCG haben 85% der Unternehmen im letzten Jahrzehnt einen Changeprozess eingeleitet. Die gleiche Untersuchung ergab aber, dass fast 75% der initiierten Changeprozesse weder kurz- noch langfristig erfolgreich waren.[1]
Auch ich weise in meinen Beiträgen immer wieder auf dieses Dilemma hin – darauf, dass Changeprozesse in vielen Unternehmen hoch motiviert aufgesetzt werden, aber sich die Erfolge oft nicht zeigen, u.a. in „Change – ja, aber …“. So mag es kaum verwundern, wenn anstehende Veränderungen in der Arbeitsweise, beispielsweise die Implementierung von New Work oder einer positiven Fehlerkultur, oft weit hinter den Erwartungen hängen bleiben.
Und so stelle ich erneut die Frage in den Raum: Was braucht es, dass wir eine „High-Impact Business Transformation“ erreichen? Also nicht nur die Strategien, Strukturen, etc. ändern, sondern auch die Denkweise und Haltung aller Beteiligten, mit dem Ziel einer permanenten Wandlungsfähigkeit der Organisation – also zu einer echten Chancen- und Potentialaktivierung kommen.
Dreh- und Angelpunkt in Changeprozessen
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Es beginnt mit der Tatsache, dass man zwar einsieht und auch daran arbeitet, Veränderungen einzuleiten, aber man möchte das tun, ohne dabei nass zu werden. Der Dreh- und Angelpunkt jeder Veränderung braucht aber genau das: Nasswerden, persönlich betroffen sein – und zwar alle, das Topmanagement wie auch die MitarbeiterInnen.
So gut und sinnvoll die Veränderungen von Strategien, Strukturen und Regeln sind, braucht es darüber hinaus auch eine geistig emotionale Auseinandersetzung mit der Veränderung – den Mut, von anstehenden Veränderungen geistig und emotional berührt zu werden.[2] Ein so verstandener und so aufgesetzter Change hätte jedoch zur Folge, dass so ziemlich jeder nass werden würde. Nass werden will bei ehrlicher Betrachtung aber kaum jemand – sehr verständlich. So werden dann meist unbewusst Widerstände aufgebaut, die den angehenden Change in subtiler Weise sabotieren.
Renate Köcher, Professorin für politische Wissenschaften hat in einer Studie belegt, dass viele Menschen Veränderungen zustimmen, aber nur dann, wenn die eigenen Privilegien und Finanzen unangetastet bleiben. Hier kann jedoch nicht nur vom blanken Egoismus gesprochen werden. Es bedarf einer konkreteren Analyse, die jedoch weniger mit den fachlichen und rationalen Aspekten zu tun hat, sondern als ein psychologisches Phänomen gesehen werden muss, welches wirkt: Misstrauen bzw. Angst in Bezug auf das Neue.[3]
Das gewohnte Denken und Handeln ist sehr schnell verunsichert, wenn man gewohnte Strategien und Arbeitsweisen verändert. Die Macht der Gewohnheit ist sehr stark, und das führt sogar soweit, dass man meint, man würde ohnehin schon in neuer Art und Weise handeln, obgleich das gar nicht der Fall ist. Gewohnheitskonformes Handeln wird sogar gehirntechnisch durch die Ausschüttung von gehirneigenen Boni, von körpereigenen Opiaten, belohnt.[4]
Werner Müller, Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität Basel, konnte eindeutig belegen, dass in Bezug auf das Topmanagement gravierende psychologische Fehler in der Changekultur begangen werden. Müller empfiehlt deshalb, den emotionalen Aspekten von Veränderungsprozessen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.[5] Das, was auch ich immer wieder aufs Neue in vielen meiner Beiträge anzuregen versuche: Persönliche Betroffenheit.
Change-Prozesse scheitern eben in vielen Fällen, weil jeder Change ein Schattenleben aktiviert, der in der Planung und Implementierung in Changeprozessen negiert oder als Störfaktor gesehen und damit beiseitegeschoben wird. Mit jedem „Ja, aber …“ welches Sie hören, können Sie davon ausgehen, dass der Change von einem Schatten sabotiert wird.
Aus meiner Erfahrung heraus heißt das jedoch, dass man wie Bodo Janssen, der Betreiber der Upstalsboom Hotelkette meint, sich gnadenlos ehrlich den Spiegel vorhalten und hinsehen sollte.[6] Das löst vermutlich bei dem einen oder anderen, schon bei dem Gedanken daran, Unbehagen aus, noch genauer betrachtet Angst. Aber gerade dieser Aspekt ist neben den fachlich gut aufgesetzten Strategien und Strukturen für den Change relevant. Angst ist im Unternehmenskontext weit öfter vorzufinden, als man meinen könnte und blockiert bzw. verzerrt Veränderungsprozesse in subtiler Weise.
Angst zeigt sich eben nicht nur in Angst, sondern kippt in Führungsetagen beispielsweise auch ins Gegenteil – hin in den Übermut oder in ausufernden Aktionismus. Das kann absolut niemandem zum Vorwurf gemacht werden. Übermut und Aktionismus sind Angstbewältigungsstrategien, sehr menschlich und emotional verständlich. Übermut und überbordender Aktionismus sind jedoch, wie vermutlich viele von Ihnen sich vorstellen können, riskante Ratgeber.
Mag sein, dass manche von Ihnen jetzt meinen, dass ein Unternehmen kein therapeutisches Gruppenmeeting ist, in welchem man die Befindlichkeiten miteinander teilt. Ja und Nein. Es geht mir jedoch weniger darum, Unternehmen zu therapeutischen Gruppenmeetings zu motivieren, sondern Emotionen und der damit zusammenhängenden geistigen Haltung in Changeprozessen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. In dem Beitrag „Leaders Focus Too Much on Changing Policies, and Not Enough on Changing Minds“ der Harvard Business Review steht:
Viele Unternehmen übersehen den inneren Wandel, dass was die Menschen im Unternehmen denken und fühlen. Nur wenige Führungskräfte verbringen ihre Zeit damit, die eigene Haltung zu reflektieren, und gehen über ihre intellektuellen und emotionalen Komfortzonen hinaus. So spricht man von der Immunität gegen Veränderungen.[7]
Man will es ungern glauben, aber es ist tatsächlich äußerst schwer, gewohnte Denkbilder und einverleibte Kompetenzen mit neuen Handlungsweisen zu ergänzen. Deshalb scheitern auch so viele Changeprozesse.
Der strukturelle Change ist eben auch vom individuellen Change abhängig.[8]
Neue Denkanstöße wirken nicht nur rational, sondern eben sehr emotional. Die Emotionen, die ein Denkanstoß und ein Change auslöst, können weder mit einem perfekten Instrumentarium noch mit besten rationalen Argumenten aus dem Weg geräumt werden. Für viele ist dieser emotionale Teil in Veränderungen wirklich äußerst schwer zu akzeptieren. Niemand, insbesondere Führungskräfte, möchten sich die Blöße geben, bei dem einen oder andere Punkt zu hängen, unsicher zu sein.[9]
Knapp jede zweite Führungskraft befürchtet lt. Studie einen Machtverlust durch gesetzte Innovationen bzw. Changemaßnahmen.[10] Dieser Punkt sollte zu denken geben, denn die Angst vor Machtverlust im Nacken sitzend ist sicher kein guter Entscheider für das Aufsetzen von Changeprozessen. Thomas Sattelberger, er war einer der mächtigsten Personalchefs in Deutschland, spricht davon, das man als Manager mehr damit beschäftigt ist seine Achillesferse zu schützen, als große Changeprozesse couragiert in die Umsetzung zu bringen.[11]
In meiner Arbeit als Coach und Berater erlebe ich fast täglich, wie Angst wirkt bzw. wie versucht wird, die Ängste still und heimlich beiseite zu schieben, mit der Hoffnung, dass sie dann ganz verschwinden.[12] Auch wenn wir die Angst nicht mehr wahrnehmen, so heißt das nicht, dass die Angst nicht mehr wirkt. Leider tut sie das, aus dem Verborgenen heraus, verzerrt und verdreht agierend durch andere emotionale Schlupflöcher. So kann beispielsweise Unlust ein Zeichen für Angst sein, ebenso wie Missfallen, Unmut, Unruhe, Kleinmütigkeit, Unzufriedenheit und Unentschlossenheit.[13] Sogar körperliche Beschwerden können ein Hinweis auf Angst sein. Dann ist es besonders schwer zu verstehen, dass eigentlich Angst vorliegt.[14]
Fazit
Die Herausforderung in jedem Change besteht darin, die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Strategien, Strukturen und Regeln vom Change zu lenken, sondern auch nach innen zu bewegen. Erfolgsversprechende Changeprozesse sollten mit dem beginnen, was in den Menschen vor sich geht – beginnend mit dem Topmanagement.[15]
Ein Change erfordert auch die Auseinandersetzung mit den eigenen persönlichen Gedanken und Emotionen, die den Change meist unbewusst sabotieren, weil der Change vielleicht die einen oder anderen Bequemlichkeiten, Boni oder auch Machtansprüchen in Frage stellt. Ein Change, der das eine oder andere nicht in Frage stellt, ist bei genauer Betrachtung meist kein Change. Ich weiß, dass ist eine harte Aussage.
Es geht mir in diesem Beitrag wirklich nicht um das Herunterspielen von Kompetenzen und sinnvollen Changestrategien. Mich bewegt der Ehrgeiz, wie andere sicher auch, Changeprozesse erfolgreich zur Wirkung zu bringen, vor allem auch nachhaltig. Das ist meiner Erfahrung nach nur mit ausreichender Reflexion und dem Mut zur Betroffenheit möglich. Prof. Dr. Dirk Lippold sieht jeden Change begleitet vom Widerstand, der auf 3 Ebenen wirkt:[16]
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Widerstand durch Nicht-Wollen: Hierbei handelt es sich um Willensbarrieren aufgrund von Ängsten oder dem Wunsch, am Status quo festzuhalten.
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Widerstand durch Nicht-Können: Hier wirken Defizite in den Kompetenzen, beispielsweise was neue Technologien betrifft, Sprachkenntnisse, etc., die zu Fähigkeitsbarrieren im Change führen.
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Widerstand durch Nicht-Wissen: Für den Nicht-Wissenden ist der neue Zustand ungewiss. Genau genommen befinden sich jeder und jede, die den Change noch nicht durchlaufen haben, in diesem Stadium. Niemand kann wirklich sagen, was tatsächlich durch den Change alles ausgelöst werden könnte. Niemand kann sagen, ob durch die gesetzten Veränderungen die Arbeitsweise auch tatsächlich besser wird. Die rationale Seite meint zwar, wenn alles nach Plan durchgeführt wird, dann muss der Change gut laufen. Doch hier erliegen wir weitaus öfter einer Illusion, einem Wunschtraum.
Umso mehr sollten Führungskräften die Stolpersteine in Changeprozessen kennen. In weltweiten Umfragen wurden vor allem zwei Faktoren identifiziert, die Changeprozesse zu Fall bringen:[17]
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Fehlen klar umschriebener Meilensteine und Ziele, um den Fortschritt zu messen
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Fehlendes oder unzureichendes Engagement von Seiten der Unternehmensführung
Was konkret unter fehlendem Engagement gemeint sein könnte, erschließt sich mir in dieser Aussage nicht so direkt. Doch ich gehe davon aus, dass auch hier die persönliche Betroffenheit gemeint ist – der Dreh- und Angelpunkt in Changeprozessen, die doch viele zu umgehen versuchen, weil Betroffenheit Angst macht. Aber es gibt Möglichkeiten, die Saboteure positiv zu stimmen und dazu zu bewegen, die Veränderung mitzutragen, beispielsweise mit einem gezielten Embodiment-Training und dem ehrlichen Entschluss, sich offenherzig auf einen Transition-Prozess einzulassen. Das heißt u.a.:
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Achtsamkeit stärken
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Angst– und Stress-Management betreiben
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Konditionierungen und Lügenkonstrukte aufdecken
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Emotionale Befindlichkeiten und Egotriebe, beispielsweise Maßlosigkeit, Über-Mut, Machtstreben … aus einem neuen Verständnis heraus kennenlernen
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Bildungsallergien überwinden
Im Artikel „Leaders Focus Too Much on Changing Policies, and Not Enough on Changing Minds“ wird geraten, sich selbst zu fragen:[18]
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Was sehe ich nicht?
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Wie wird meine Perspektive von meinen Ängsten beeinflusst?
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Was ist meine Verantwortung in dem Prozess?
Mit diesen 3 Fragen möchte ich diesen Beitrag über die Stolpersteine in Changeprozessen abschließen. Ich wünsche Ihnen für die nächsten 4 Wochen eine erfolgreiche Arbeitszeit, oder wenn Sie wie ich auf Urlaub gehen, eine erholsame, neue Einsichten bereichernde Zeit.
Nach meinem Urlaub starte ich die in meinem letzten Beitrag „Fakten über New Work“ angekündigte New Work Safari, eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit dieser im Raum stehenden Arbeitsrealität, die sicherlich manchen Kopfzerbrechen macht, und den einen oder anderen Changeprozess dahingehend herausfordert.
Ihr Günther Wagner
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Literaturquellen:
[1] https://hbr.org/2018/06/leaders-focus-too-much-on-changing-policies-and-not-enough-on-changing-minds. Am 2018-07-17 gelesen. reduce text
[2] https://hbr.org/2018/06/leaders-focus-too-much-on-changing-policies-and-not-enough-on-changing-minds. Am 2018-07-17 gelesen.
[3] ] http://www.psychologie-heute.de/archiv/detailansicht/news/reformen_ja_aber/? Am 2018-03-19 gelesen.
[4] http://www.stern.de/gesundheit/loslassen-lernen-warum-uns-veraenderungen-so-schwerfallen-3926206.html. Am 2017-09-26 gelesen.
[5] http://www.psychologie-heute.de/archiv/detailansicht/news/reformen_ja_aber/? Am 2018-03-19 gelesen.
[6] https://blog-wagner-consulting.eu/fuehrungskraefte-vorbild-wandel/.
[7] https://hbr.org/2018/06/leaders-focus-too-much-on-changing-policies-and-not-enough-on-changing-minds. Am 2018-07-17 gelesen.
[8] https://hbr.org/2018/06/leaders-focus-too-much-on-changing-policies-and-not-enough-on-changing-minds. Am 2018-07-17 gelesen.
[9] https://blog-wagner-consulting.eu/erfolgreiche-changeprozesse/.
[10] https://berufebilder.de/2016/angst-digitaler-transformation-falsche-glaubenssaetze-besiegen-groessten-innovationskiller/. Am 2017-09-12 gelesen.
[11] https://blog-wagner-consulting.eu/management-auf-der-titanic/.
[12] https://blog-wagner-consulting.eu/machtspiele/.
[13] http://corpora.uni-leipzig.de/de/res?corpusId=deu_newscrawl_2011&word=Angst Am 2017-09-12 gelesen.
[14] Wolf, Doris: Ängste verstehen und überwinden. 17. Auflage. PAL Verlagsgesellschaft mbH, München: 2003.
[15] https://hbr.org/2018/06/leaders-focus-too-much-on-changing-policies-and-not-enough-on-changing-minds. Am 2018-07-17 gelesen.
[16] https://lippold.bab-consulting.de/der-zwillingsbruder-des-wandels-heisst-widerstand. Am 2018-07-17 gelesen.
[17] https://www.bcg.com/de-at/capabilities/change-management/insights.aspx. Am 2018-07-17 gelesen.
[18] https://www.bcg.com/de-at/capabilities/change-management/insights.aspx. Am 2018-07-17 gelesen.