
DER HYPE: TEAMGEIST DIE INNOVATIONS-SPRUNGSCHANZE!?
In meinem letzten Artikel fragte ich mich, was wir aus der Coronakrise lernen können.
Während ich auf diese Fragestellung für Unternehmen zielführende Antworten analysierte, wurde mir sehr deutlich bewusst, dass es wieder einmal nicht so leicht geht, auch wenn wir das meinen. Auf den Social Media Plattformen wird gegenwärtig hochglanzartig gehypt, dass man mit dem Hochfahren der Digitalisierung bestens durch die Krise kommt, so durchdringend, dass man glauben könnte, wir sind tatsächlich jetzt alle voll auf Kurs.
Dieser damit verbundene gemeinsame Eifer mag auf den ersten Blick gut sein, u.a. um vermutlich die Corona-Infizierungen zu drosseln und gleichzeitig die Digitalisierung endlich voranzutreiben, was man ohnehin schon länger wollte. Dieses Ziel und die gemeinsame Strategie verbindet, schafft ein homogenes Feld, schafft Konformität und damit Kraft, Macht und scheint zu bestätigen, dass genau dieser Weg richtig ist – denn, wenn viele etwas in gleicher Weise tun, dann kann es nicht falsch sein!
ABER …
es gibt einen Haken. Aus meiner Sicht sogar leider einen kräftigen Haken, der selbst in dem von mir persönlich als bisher positiv gesehenen Trend vom IQ zum WeQ wirkt. Diesen habe auch ich etwas an den Rand geschoben habe – nämlich die Gruppendynamik.
Gruppen-/Teamdynamik ist zwar in aller Munde, man rühmt sich vielleicht sogar, dahingehend viel zu tun. Man weiß, Teamgeist gibt Kraft, steigert das Know-how, stärkt die Motivation. Was wir jedoch dabei sehr oft übersehen, Gruppendynamik unterbindet gleichzeitig Innovationen, untergräbt notwendige Veränderungen in subtiler Weise – warum?
Der WeQ-Gedanken mag gruppen-/teamdynamisch motivieren, bringt aber nur dann gute Lösungen hervor, wenn man gleichzeitig im WeQ-Wohlfühlfeeling WeQ kritische Töne, Gruppen gehypte Meinungen innerhalb des Teams auch offen und Wert schätzend hinterfragen kann, ohne gleich von der Community, vom Team mit einem abgesenkten Daumen ins Abseits geschoben zu werden. Die Kraft von WeQ wirkt nur dann wirklich intelligent, wenn QuerdenkerInnen und kritische Gruppen- und Teammitglieder mit ins Boot geholt werden, wenn eine Gruppe, ein Team heterogen, divers ist.
Aber genau die damit verbundene Reibung, die Auseinandersetzung von NICHT GLEICHER Ausrichtung, Meinung, Wissen innerhalb der Gruppe, innerhalb von Teams meiden Teams. Gruppen ziehen es vor, ähnliche Ziele zu verfolgen, ähnliche Ansichten zu teilen, was die Gruppe als solche stärkt und deren Ausrichtung als gut und richtig bestätigt. KritikerInnen und QuerdenkerInnen werden in Gruppen und Teams als mühsam angesehen, irritieren, hindern scheinbar den reibungslosen Arbeitsprozess von Teams, werden irgendwann gemobbt, an den Rand der Gruppe geschoben, aus der Gruppe gestoßen.
Genau vor so einem Gruppenabseits haben viele Angst. Mit diesem (un)bewussten Gefühl fällt es schwer, entschlossen kritisch der eigenen Gruppe, dem Team entgegenzutreten. So kommt es, dass mehr Menschen, als man vielleicht meinen würde, kleinlaut der Gruppe folgen. Das sie das Vorgehen einer Gruppe, eines Teams, eines Unternehmens, einer Regierung als richtig bestätigen, selbst dann, wenn man es eigentlich nicht (mehr) richtig findet. Ein solches Verhalten ist für anstehende Veränderungen nicht optimal, mit einem solchen Verhalten bleiben notwendige Innovationen auf der Strecke – sicherlich mit Ausnahmen.
Ute Fritz fragt sich in einem Kommentar zu meinem Kurzbeitrag Gruppendruck erzwingt Konformität und unterdrückt Kritik, ob in Unternehmen Gruppen-/Teammeinungen u.a. auch durch zu wenig Moderation und Zeit sich entsprechend einseitig formieren. Ihrer Meinung nach mangelt es in Gruppen oft auch daran, dass die „Leisen“ selten zu Wort kommen. Man könnte jetzt meinen, dass die „Leisen“ durch Homeoffice, durch die digitale Nutzung mehr Chancen hätten gehört, gelesen, gesehen zu werden, was aber nicht unbedingt so bestätig werden kann. Die Leisen, die vielleicht auch leise sind, weil sie länger nachdenken, oder eben Angst vor Gruppenausschluss haben, bleiben auch digital oft leise.
Die Gruppe und die Meinung der Gruppe formiert sich um die expressiv kommunikativen Gruppenjunkies, der Rest schwimmt ungesehen mit, bejaht stillschweigend die Gruppe und die Gruppe glaubt, alle sind auf gleichem Kurs, alles was man als Team tut scheint richtig zu sein. Und genau das ist für Innovationen, für kreative Prozesse, für weitreichende Lösungen nicht die beste Basis – in Krisensituationen genauso wie zu normalen Zeiten. Umbruchzeiten bzw. die Bewältigung von Herausforderungen, mit denen wir eigentlich unentwegt mal sanfter mal härter konfrontiert sind, braucht Gruppenreibung, braucht QuerdenkerInnen, braucht Gruppen störende Elemente, braucht Diversity, um die homogene Gruppenmeinung, homogene ausgerichtetes Wissen zu erweitern, um auch andere Perspektiven zu sehen.
Genau genommen braucht man sowohl die Kraft der Gruppe im homogenen Verständnis, aber genauso auch das Potential der QuerdenkerInnen innerhalb der Gruppe. Beide Aspekte sind es, wie 2 Seiten einer Medaille, die eine Gruppe, ein Team zu etwas Besonderem machen, Höchstleistungen, innovative Sprünge möglich werden lassen. Leider ist das jedoch öfter als gedacht nicht der Fall, und Gruppen stehen sich mehr selbst im Weg als über sich hinauszuwachsen – selbstverständlich mit einigen Ausnahmen.
Das mit der Gruppendynamik, Teampower mag Dich vielleicht jetzt gar nicht tangieren, zum einen weil in Deinem Unternehmen ohnehin viel Wert auf Teamgeist und Diversity im Team gelegt wird, andererseits, weil Du vielleicht denkst, irgendwie lassen sich die Probleme schon lösen, man muss nicht gleich die Apokalypse malen. Doch ob wir wollen oder nicht, der Druck wächst, nicht nur wegen Corona, sondern weit darüber hinaus durch die Klimakrise, selbst nur durch die möglichen Folgen der Digitalisierung.
Der Kochtopf steht auf der Flamme, lässt sich nicht wegschieben, wohin auch, wir haben nur diesen Planeten … So gesehen können wir der Frage nicht entrinnen, was wir aktuell in der Coronakrise als Unternehmen, als Regierungen, als Gesellschaft, als Gruppen und Teams für die weitere Zukunft lernen können, lernen müssen, um anstehende Krisen und weitere Herausforderungen besser bewältigen zu können?
Vielleicht müssen wir es viel konkreter wagen, das Gruppenverhalten, den Teamgeist, den Unternehmensspirit auf homogene Auswüchse hin analysieren, gemeinsam reflektieren, prüfen, wie heterogen oder homogen die Teams agieren, wie hoch der Gruppendruck in den Teams ist, und damit Wissen, Kritik zurückgehalten, und der so notwendige kreative Austausch, innovative Entwicklungschancen im Keim erstickt werden – auf Unternehmensebene genauso wie auf Länderebene, selbst auf globaler Ebene.
In einem weiteren Kommentar zu dem oben genanntem Kurzbeitrag erinnert mich Ava Hauser an das Asch Experiment, wo häufig die Antwort genannt wurde:
Die Gruppe müsse Recht haben, weil so viele Menschen nicht falsch liegen können. Und diese Funktion der Gruppe haben u.a. die Medien inne. Das was in den Medien zu hören, zu sehen, zu lesen ist, muss doch wahr sein. Es kann doch nicht sein, dass eine Gruppe an gebildeten Menschen unzureichendes Wissen und damit auch unzureichende Lösungen als Erfolgsschlager postulieren?!
Gunter Dueck spricht offen und ehrlich von Schwarmdumm – so blöd sind wir nur gemeinsam, und auch Fritz Simon schreibt ein Buch Gemeinsam sind wir blöd. Ich selbst möchte jedoch weniger von dumm sprechen, sondern vielmehr von der in vielen Unternehmen, aber auch Regierungen aktuell unterschätzten Gruppendynamik und der damit in Verbindung stehenden Ängste, Machtkämpfe und Manipulationsversuche – mit den Folgen, dass man sich als einzelner meist aus Angst (un)bewusst dem Sog der Gruppe hingibt, die Gruppenmeinung bejaht, selbst dann, wenn es gar nicht wirklich für einen so stimmt.
Das Dilemma mit der Teampower ist, einerseits gibt diese Kraft, gleichzeitig bremst die Gruppenpower, wenn diese zu homogen aufgestellt ist. Das hat zur Folge, dass die so notwendige Perspektivenvielfalt für gute innovative Lösungen in der Gleichschaltung, in der Homogenität verloren geht. Innovationen brauchen, ob wir wollen oder nicht, neben ExpertInnenwissen auch Diversität, brauchen heterogene Kommunikation und Meinungen, brauchen AußenseiterInnen, QuerdenkerInnen, Andersartigkeit – und genau das geht leider in Gruppen, Teams, in Unternehmen, im Management oft verloren, obgleich wir es gar nicht so empfinden, uns anders wahrnehmen als es eigentlich ist.
Mache bitte kurz einen Blick auf diese Bild, wie homogen oder heterogen wirkt dieser Kreis von Menschen?
Mag sein, dass einige jetzt meinen, naja, das mag auf diesem Bild so sein, aber sonst ist es im Unternehmen anders. Man tut viel, um Diversity zu fördern, um Andersartigkeit, Kreativität und auch die damit verbundene Reibung zuzulassen. Doch sei jetzt bitte ehrlich:
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Wie denkst Du über MitarbeiterInnen, die in Teams durch Kritik und Zweifel oder schlichtweg durch Andersartigkeit auffallen, nicht homogen im Team mitschwimmen, als bunter Papagei aus dem Team herausstechen?
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Und umgekehrt: Fragst Du Dich manchmal auch, wie es dazu kommt, dass Dein Team die Vorgaben, Entscheidungen, Veränderungen scheinbar tatkräftig mitträgt? Fragst Du Dich nicht, was die Einzelnen im Team tatsächlich über das was entschieden, verändert, vorangetrieben wird, denken – oder interessiert Dich das gar nicht?
RESÜMME
Viele Unternehmen unterschätzen meiner Meinung nach Gruppen- bzw. Teamdynamiken, auch wenn man nach außen hin scheinbar viel dahingehend tut. Es stellt sich jedoch die Frage,
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ob man mehr dahingehend tut, das Team harmonischer miteinander wirken zu lassen,
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oder mehr den Mut aufbringt, in Teams Kritik und freie Meinungsäußerung, mit der Gefahr von Reibungen, Konflikten zuzulassen.
Und selbst wenn man versucht Gruppen, Teams diverser zu organisieren, wird das öfter als gedacht vom Management falsch bzw. zu eng aufgefasst, beispielsweise indem man glaubt, es genügt auf die Einhaltung einer Frauenquote zu achten, eine Quote für AutistInnen, Schwule und Moslems einzuführen. Von Diversity kann man jedoch erst dann sprechen, wenn wirklich unterschiedliche Denkweisen, Meinungen, Kritik und Zweifel offen ohne Angst zum Ausdruck kommen können, und diese in der Gruppe auch gleichwertig zum Gruppenmainstream Beachtung finden.
Bei einer echten Diversity gibt es, ohne es schön reden zu wollen, zum Teil wirklich sehr weit auseinander rudernde unterschiedliche Sichtweisen und Argumente, wodurch das Konfliktpotential tatsächlich steigen kann, aber ebenso die innovative Kraft.
Auch wenn Diversity Kraft kostet, man Komfortzonen verlassen muss, ist Diversity relevant – in turbulenten Zeiten sogar die Überlebensstrategie.[1]
Ich gehe davon aus, dass aktuell niemand leugnen wird, dass die nächsten Jahre bzw. Jahrzehnte herausfordernd werden, u.a. wegen der jetzt so richtig in Fahrt gekommenen Digitalisierung, die noch immer, was die Folgen betrifft, von vielen deutlich unterschätzt wird, wie ebenso die Klimakrise, Elektrosmog in Verbindung mit Umweltverschmutzung, Energieengpässe, Überbevölkerung und Ressourcenengpässe, Überalterung in den westlichen Ländern, uvm …
Wenn Du jetzt noch immer das Gefühl hast, Dein Unternehmen tangieren diese Themen nicht, die Teams in Deinem Unternehmen agieren heterogen, divers, kreativ, sich gegenseitig in unterschiedlichen Meinungen und Lösungsstrategien achtend, bewusst, was an Herausforderungen das Unternehmen in naher Zukunft erwarte, dann rate ich Dir Eigenland zu spielen und zu prüfen, wie es wirklich aussieht, ob möglicherweise Teams und damit das Unternehmen im Ganzen in innovativen Ideen und andersartigen Entscheidungen doch ausgebremst werden.
Ich glaube, wir alle unterschätzten gemeinsam als Gruppe die Folgen unseres aktuellen Handelns, was uns in den nächsten Jahrzehnten deutlich und mit mehr Überlebensdruck dazu bewegen wird, vieles neu zu überdenken, komplexer zu analysieren, diverser zu lösen.
Beste Grüße Günther
PS: Um meine zukünftigen Beiträge, insbesondere News im Umgang mit der Corona-Krise mitbekommen zu können, folgen Sie mir auf LinkedIn, Xing und Twitter. Darüber hinaus finden Sie in der Gruppe „Leadership Café …“ neben meinen Beiträgen ebenso Beiträge anderer HR Influencer.
Informationsquellen
[1] http://www.wiwo.de/erfolg/management/diversity-management-vielfalt-ist-nicht-gleich-frauenfoerderung/14921778.html. Am 2017-11-07 gelesen.